Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
schwierig, geeigneten Lesestoff für einen kleinen Jungen zu finden; und nachdem wir David John in Dracula vertieft entdeckt hatten, hatte Walter Schach als mögliche Alternative vorgeschlagen. Seinerzeit hielten wir das für eine sehr gute Idee.
Carlas Talente lagen auf anderen Gebieten. Vorwitzigkeit, zum Beispiel. Sie war eine richtige kleine Amazone. Ihr hätte ich am liebsten Pfeil und Bogen geschenkt.
»Und, Erfolg gehabt?«, fragte ich Ramses.
»Nur im negativen Sinne.« Er nahm mir die gefüllte Tasse ab und senkte die Stimme. Obwohl in sein Spiel vertieft, besaß David John die unselige Gabe, alles aufzuschnappen, was er nicht mitbekommen sollte.
»Die gebräuchlichen Codes bestehen aus den Buchstaben des Alphabets«, führte Ramses aus. »Nach einem vorgegebenen System vertauscht. B für A , C für B und so weiter. Das ist die einfachste Variante und am leichtesten zu knacken. Und selbst komplexere Chiffrierungen lassen sich relativ einfach entschlüsseln, anhand der Buchstabenhäufigkeit und -wiederholung. Rein theoretisch könnte man dieses System auch auf Ziffern übertragen, aber – verdammt Mutter, ich bin kein Fachmann. Ich hab einfache Kodierungen ausgetüftelt, so wie ich es schon als Kind gern gemacht habe, aber das war bloß Spielerei.«
»Dann besteht also keine Aussicht auf eine Entschlüsselung der Nachricht?«, fragte ich.
Mein Sohn fuhr sich mit den Fingern durch die zerzausten Locken. »Ich denke – also es ist nur eine Vermutung – , dass sich die Zahlen auf ein Buch oder Manuskript beziehen. Die Ziffern lassen sich in Dreiergruppen aufteilen, die jeweils auf die Buchseite hinweisen, die entsprechende Zeile und den Begriff oder Buchstaben in der Zeile. Ich tippe eher auf einen Begriff. Einmal angenommen, das von Sethos gefundene Dokument war die Urfassung. Sofern Kopien an Mitglieder der Organisation verteilt worden waren, befand sich das Buch bereits in ihrem Besitz. Sie wären in der Lage, die Mitteilung zu lesen und später folgende ebenfalls. Wir haben das Buch jedoch nicht. Und was schätzt ihr, wie viele Millionen Titel es weltweit gibt?«
»Das lässt sich doch sicher eingrenzen«, gab ich zu bedenken. »Auf Titel, die in den meisten Haushalten zu finden sind.«
»Oh ja. Auf die Bibel und den Koran bin ich auch schon gekommen. Aber weißt du, wie viele unterschiedliche Ausgaben erschienen sind? Und bevor du mir jetzt mit weiteren effizienten Denkanstößen kommst«, fuhr er zunehmend ungehalten fort, »ja, ich habe erwogen, dass die Zahlen Bezug auf Verse oder Suren oder Kapitel nehmen könnten. Aber in welcher Sprache? Arabisch, Hebrä isch oder vielleicht Englisch?« Mit einem missmutigen Blick zu seinem Onkel setzte er hinzu: »Du hättest ruhig mal einen Blick auf die Bücherregale des Gentleman werfen können.«
Sethos schwieg, vermutlich, weil ihm auf diesen unfairen Anwurf keine plausible Antwort einfiel. Stirnrunzelnd betrachtete er das Schachbrett. Seine Königin schien unmittelbar bedroht.
»Es ist schon spät«, meinte Nefret, »und bei Carla eine größere Reinigungsaktion erforderlich. Sie hat mit Amira auf dem sandigen Boden herumgetollt. Komm, David John. Du kannst morgen weiterspielen.«
»Ich bin fertig«, sagte David John und machte einen Zug. »Schachmatt, Sir.«
Nachdem die Kinder fort waren, sagte ich zu Sethos:
»War doch nicht nötig, dass du ihn gewinnen lässt.«
»Ich hab ihn nicht absichtlich gewinnen lassen«, erwiderte mein Schwager betreten.
Aus Manuskript H
Während ihrer Aufenthalte in Ägypten hatte es ihnen an Abwechslung eigentlich nie gefehlt, aber diesmal fand Ramses, reichte es ihm völlig. Zum einen hielten sie einen gesuchten Flüchtigen bei sich versteckt, zum anderen würde die Entdeckung von Tutanchamons Grabstätte die halbe Welt in die kleine Stadt Luxor verschlagen. Arthur Merton war am 30. November offiziell durch die Grabanlage geführt worden und hatte noch am selben Tag seinen Bericht in die Staaten telegrafiert. Inzwischen kamen auch die Journalisten der Kairoer Zeitungen. Die Hotels waren ausgebucht und einige Dragomane köderten die Touristen damit, dass sie ihnen von der großartigen Entdeckung erzählten und ihnen anboten, sie dorthin zu führen. Anfang Dezember gab es dort zwar nicht viel zu sehen, da Carter das Grab wieder zugeschüttet hatte, aber das konnte die Neugier nicht schmälern. Die exorbitanten Besucherzahlen boten Verfolgern zwangsläufig eine ausgezeichnete Tarnung. Falls Sethos’ Gegner bei
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