Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
»Anthony Bissinghurst« noch nicht Verdacht geschöpft hatten, waren sie nicht die Profis, für die Ramses sie hielt.
Seine Mutmaßungen stellten sich als korrekt heraus, wenn auch anders als erwartet. Eines Abends, kurz nachdem das Grab erneut mit Geröll aufgefüllt worden war, saßen sie noch draußen auf der Veranda. Plötzlich hörten sie Hufgetrappel.
»Da hat es aber jemand eilig«, meinte Ramses und steuerte zur Tür. »Gute Güte, es ist Bertie. Was ist denn los?«
»Kann Nefret mitkommen? Jetzt gleich?«
»Aber natürlich.« Nefret sprang hastig auf, gleichwohl nahm ihre Stimme einen ruhig-sachlichen Ton an. »Wer ist krank, Bertie? Deine Mutter?«
»Nein, das Gott sei Dank nicht. Das heißt –« Er nahm den Hut ab. »Bitte entschuldigt. Ich glaube, ich habe überreagiert. Vermutlich ist es gar nicht so dramatisch, aber trotzdem, er sieht schlimm aus, voller Blut und so.«
»Cyrus?«, wollte Emerson wissen.
»Nein, Nadji. Er wollte heute Abend nach Luxor, und wir fingen schon an, uns Sorgen zu machen, als er blutüberströmt ins Haus wankte.«
»Ich hol nur rasch meinen Arztkoffer«, rief Nefret.
»Ich werde das Automobil starten«, erbot sich Emerson.
»Wir werden die Pferde nehmen«, sagte seine Frau.
»Aber Peabody, der Wagen läuft wie geschmiert. Selim und ich waren damit gestern auf einer kleinen Spritztour.«
»Dabei hat sich das Lenkrad gelöst.«
»Aber die Bremsen funktionierten einwandfrei«, trumpfte Emerson auf. »Und die Reparatur hat Selim auch schon –«
»Kommt nicht in Frage, Emerson. Nicht im Dunkeln und nicht auf dieser holprigen Straße.«
Ramses glitt ins Freie. Als die anderen die Stallungen erreichten, hatte er Jamad geweckt und Risha und Nefrets Moonlight gesattelt. Nefret huschte mit ihrer Tasche in den Stall, während seine Mutter darauf pochte, dass er ihr Reittier ebenfalls startklar machte. Im Grunde seines Herzens war ihm klar gewesen, dass sie mitkommen würde.
»Wir reiten schon mal voraus«, verkündete Nefret. »Mit Bertie.«
»Kommst du nicht mit?« Ramses spähte fragend zu Sethos.
Die Hände in die Hosentaschen geschoben, starrte der wenig begeistert auf die Stute, die Jamad eben sattelte, und zuckte mit den Schultern. »Doch, ich glaube schon.«
Ramses ließ ihn kurzerhand stehen und folgte seiner Frau durch das geöffnete Gatter und auf die Straße. Nefret gab ein ziemliches Tempo vor. In der Dunkelheit ragte das Schloss hell erleuchtet vor ihnen auf, die Tore standen offen. Nachdem sie hastig abgesessen waren, stürmten sie ins Haus, wo Cyrus sie schon erwartete.
»Tut mir leid, wenn wir euch zu nachtschlafender Zeit gestört haben«, meinte er. »Katherine glaubt, dass es halb so wild ist, aber Bertie war in Sorge und –«
»Sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen«, unterbrach ihn Nefret. »Wo ist er?«
Nadji lag in seinem Zimmer auf dem Bett. Obwohl Katherine ihm mit einem Schwamm Gesicht und Brust abgetupft hatte, bot er einen schlimmen Anblick. Sobald er Nefret gewahrte, lächelte er tapfer.
»Man hätte Sie wirklich nicht zu behelligen brauchen. Mrs Vandergelt ist eine hervorragende Krankenschwester, und ich bin auch gar nicht schwer verletzt.«
»Sie sehen schlimm aus, Nadji«, murmelte Ramses mit einem viel sagenden Blick auf die Kratzer und Abschürfungen und das verkrustete Blut in seinen Haaren. »Was ist passiert? Darf er reden, Nefret?«
Sie hatte seinen entblößten Oberkörper kurz untersucht. Darauf zog sie das Laken herunter, das ihn von der Taille an abwärts bedeckte. Trotz seiner langen Unterhosen protestierte er heftig.
»Ich geh ja schon«, sagte Katherine taktvoll. »Aber bei Frau Dr. Emerson brauchen Sie keine Bedenken zu haben, Nadji, sie ist – ähm – so etwas gewohnt.«
Bestimmt hatte ihm Cyrus oder einer der Diener beim Ausziehen geholfen, überlegte der junge Emerson. Hochrot im Gesicht vor Verlegenheit sah Nadji noch jünger aus, als er eigentlich war. Ramses schätzte ihn auf Anfang bis Mitte zwanzig. Der junge Mann schluckte und tat so, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, von einer Frau untersucht zu werden. »Ja, natürlich. Kein Problem.«
Gottlob hatte Nefret seine untere Körperhälfte abgetastet, bevor der Rest der Truppe hereinschneite. Sie glättete fürsorglich das Laken, um dem armen Nadji aus seiner peinlichen Verlegenheit zu helfen.
»Ist noch glimpflich ausgegangen«, berichtete sie, ehe ihre Mutter auf Einzelheiten drängte. »Er hat eine hässliche Beule am Kopf, aber
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