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Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Amelie und die Liebe unterm Regenschirm

Titel: Amelie und die Liebe unterm Regenschirm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Molden
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Spielzeug – Amelie Lenz . In der Auslage ein kindsgroßer, verrupfter Teddybär, den sie August nannte. Ihn nahm sie jeden Morgen heraus, um die Auslage neu zu arrangieren, wobei die Wahl der Exponate nicht nur von merkantilen Überlegungen, sondern auch von Amelies Stimmungen diktiert wurde. Jeden Abend nach Geschäftsschluss räumte sie die Auslage leer und setzte August wieder hinein. Freilich nie ohne schmückende Beigabe. Mal band sie ihm eine Masche um den Hals, mal setzte sie ihm einen Hut auf den Kopf. Zu Beginn der großen Sommerferien hatte August einen bunten Ball zwischen seinen Tatzen gehalten und eine Sonnenbrille auf seiner Nase getragen. Zu Schulanfang hatte er in einer Schultasche gewühlt. Im Augenblick hielt er einen Strauß Herbstlaub vor seinem räudigen Bauch. »Schäbig, das Laub, was Neues muss her«, sagte Amelie halblaut und zückte den Schlüssel, um den Rollbalken vor der Eingangstür aufzuschließen.
    »Unsinn«, hatte ihr Vater gefunden, als er aus Salzburg nach Wien gekommen war, um der Tochter bei der Übernahme und der Einrichtung des Ladens zu helfen. Amelies Vorgänger war ein Flickschuster gewesen. Er sei der Letzte im Bezirk mit Rollbalken, hatte er der neuen Pächterin glaubhaft versichert und Vater Lenz zugestimmt, als dieser die Vorrichtung als anachronistisch und unnütz kräfteverschleißend einstufte. Aber Amelie beharrte auf der Beibehaltung des Rollbalkens. Das Gerumpel beim Öffnen und beim Schließen sei akkustisch stimulierend und die damit verbundene körperliche Anstrengung mache ihr Anfang und Ende ihres Tagewerks bewusst.
    Amelie schob den Rollbalken hoch und streckte dabei ihren Körper durch. Sie öffnete die gläserne Eingangstür, was ein zwitscherndes Spielwerk auslöste, und betrat mit einem zufriedenen Seufzer ihr Geschäft. Ein einziger, großer, quadratischer Raum. Sämtliche dem Flickschuster dienlich gewesenen Trennwände hatte sie einreißen lassen, denn Amelie liebte große Räume, nur in solchen fühlte sie sich wohl, in kleinen empfand sie sich gefangen. Ringsum an den Wänden hüfthohe Kästen, darüber gläserne Regale, auf denen sie ihre Ware zur Ansicht aufgebaut hatte. Im Hintergrund eine Tür, die in einen von einer zausigen alten Linde beherrschten Hinterhof und weiter zu Amelies Lagerraum und WC führte. In der Mitte des Verkaufsraums stand ein wuchtiger Schreibtisch aus den Dreißigerjahren, den sie bei einer Auktion im Dorotheum erstanden hatte. Als Vormals Redaktionsschreibtisch der »Neuen Freien Presse« war er angeschrieben gewesen. Auf der ausladenden Schreibfläche stand eine lauschige Leselampe mit grünem Glasschirm und eine ultramoderne Halogenleuchte, die zum Einsatz kam, wenn Amelie Spielzeug restaurierte. Links vom Tisch: ein schwarzer Thonetstuhl für Besucher. Hinter dem Tisch: Amelies ergometrisch als letzter Schrei bei Gea erworbener Schreibtischsessel. Rechts vom Tisch: ein Kinderstühlchen aus Korbgeflecht.
    Amelie holte August aus der Auslage, setzte ihn in das Stühlchen und überlegte, wer oder was heute ins Schaufenster sollte. Sie warf einen Blick auf die nahezu leeren Seiten ihres Vormerkkalenders. Montag, 11.30 Uhr: W.H.J. Hofeneder – das machte ein längeres Überlegen hinfällig, sie würde die für ihren Lieblingskunden bestimmte Kompanie des Wiener Hausregiments No. 4  Hoch- und Deutschmeister aufmarschieren lassen.
    W.H.J. Hofeneder stand für Wirklicher Hofrat Julius Hofeneder. Amelie liebte diesen seltenen, nur für Beamte im österreichischen Landesdienst gebräuchlichen Titel. Sie sprach den alten Herrn zwar immer nur mit »Herr Hofrat« an, aber wenn sie über ihn sprach, unterließ sie es nie, sich den »Wirklichen Hofrat« auf der Zunge zergehen zu lassen.
    Eigentlich war Hofeneder ein Kunde ihrer Eltern. Josef und Lizzi Lenz, Inhaber der Offizine Lenz , einer in Salzburg beheimateten Zinngießerei. Seit drei Generationen fertigten die Lenzens kleine Figürchen, bemalten sie von Hand und verkauften sie teuer. Christbaumanhänger; Szenen wie die Fronleichnamsprozession am Hallstättersee, die Landpartie der Familie K. oder Adam und Eva im Paradies. Und historiengetreu nachgebildete Zinnsoldaten. Ganze Regimenter. Die Zinnsoldaten waren beliebte Sammelobjekte und daher sichere Renner. Als Amelie ihr Spielzeuggeschäft eröffnete, hatte ihr der Vater vorgeschlagen, die Vertretung der Offizine Lenz für Wien zu übernehmen. Sie bereute nicht, das Angebot angenommen zu haben, einen beachtlichen Teil

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