Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
Aufregung zu ersparen, verheimlichten Josef, Lizzi und Amelie der alten Dame Mann No. 2, den Maler Max Klinger. Hermann Söhnke freilich wurde ihr vorgeführt. Sie hatte ebenfalls »nichts gegen ihn«, nannte ihn bloß bis zu ihrem Tode »den Reichsdeutschen« und mokierte sich darüber, dass er im Falle einer Heirat mit Amelie den flämischen Prachtschrank mitheiraten würde.
Das mit den lauen Lieben ärgerte Amelie. »Franz war keine Liebe, Mutter, der war mein erstes Abenteuer«, sagte sie trotzig.
»Und Max?«
»War mein erster Irrtum.«
»Und Hermann?«
»Mein erster ernsthafter Versuch.«
»Und wie geht’s weiter?«
Der Schlagabtausch zwischen Frau und Tochter rang Josef ein müdes Lächeln ab. Er gähnte, ging in sein Studio und nahm eines der Bücher zur Hand, das er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Und Lizzi hatte gar keine Antwort auf ihre letzte Frage erwartet. Sie erklärte, dass jetzt die Zeit für einen Imbiss gekommen sei und verschwand in der Küche. Amelie war froh, dass sie die Gelegenheit, den Eltern von ihrer Begegnung mit X zu erzählen, nicht ergriffen hatte. Den Vater würde es beunruhigt haben, und die Mutter hätte sich wie der Habicht auf seine Beute auf die Geschichte gestürzt. Nein, besser schweigen. Uli genügte als Mitwisser. Je weniger Menschen ihren Senf dazu geben konnten, desto besser. Indes, am nächsten Tag widerstand Amelie der Versuchung, über den Gamaschenmann zu sprechen, nicht und verriet, was sich an jenem Novembertag zugetragen hatte, ihrem Vetter Lorenz.
Der Himmel war bedeckt und die Luft feucht. Es war noch immer nicht kälter geworden, hätte es Niederschlag gegeben, hätte es geregnet. Amelie trug eine ihrer labbrigen Jerseyhosen, einen überweiten schwarzen Pullover und eine schwarze Daunenjacke.
»Warum denn immer nur schwarz, du schaust aus, als wärst du in Trauer«, hatte die Mutter angemerkt.
»Wart’s ab«, hatte Amelie erwidert und ihr Erscheinungsbild mit einer pink und lila gestreiften Wollgarnitur bestehend aus Handschuhen, Schal und Mütze vervollständigt.
»Naja, so gesehen…«, murmelte Lizzi und musterte ihre Tochter zufrieden. Amelie hatte Schick, sie wusste, was ihr stand, was ihr apartes helles Gesicht zur Geltung brachte.
Lorenz war offenbar derselben Meinung. Entzückt sah er Amelie entgegen, als sie durch den Vorgarten auf ihn zukam. »Toll siehst du aus, Püppchen. Niemand sieht so aus wie du«, sagte er, umfasste mit beiden Händen ihre Taille und hob sie in seinen Geländewagen. Eine Gewohnheit aus Teenagertagen; als Lorenz seine Kraft entdeckt hatte und sie am Leichtgewicht Amelie gern zur Schau stellte; hochheben, im Kreis wirbeln, über die Achsel werfen und mit der strampelnden Kusine mühelos von dannen ziehen…»Noch immer wie eine Feder«, lobte er.
Amelie kuschelte sich im Beifahrersitz zurecht und beobachtete, wie Lorenz den schweren Wagen steuerte. Er fuhr rasch und konzentriert. Beide Hände lagen auf dem Lenkrad, die Augen waren auf die Straße gerichtet, auch wenn er sprach, sah er geradeaus. Amelie mochte es nicht, wenn der Lenker eines Wagens während der Fahrt den Kopf drehte und wendete, um seine Passagiere anzusehen. Lorenz tat das nie, mit ihm fühlte sie sich sicher. Sie betrachtete sein geglücktes Profil, die langen Wimpern, die starken Wangenknochen, die volle Unterlippe und den braunen Wuschelkopf, der nur so aussah, als wäre er zufällig zerzaust, in Wahrheit aber ein Werk des renommiertesten Haarschneiders der Stadt darstellte. »Du bist ein schönes Mannsbild«, sagte sie laut und kicherte, als Lorenz gegen seine Gewohnheit von der Straße weg kurz in ihre Augen und rasch wieder wegsah.
Um den Fuschlsee lag Nebel. Kein Wind, der ihn aufgerissen hätte. Kein Panorama zu sehen. »Macht nichts, wir rennen einmal um den See, dann hocken wir uns in ein Wirtshaus und machen es uns gemütlich«, entschied Lorenz. Er war sportlich und gut in Form. Amelie hatte zunächst Mühe, mit seinem Tempo mitzuhalten, sie begann zu keuchen.
»He, renn nicht so, ich krieg Seitenstechen«, japste sie.
»Stadtpflanze«, brummte Lorenz und wurde augenblicklich langsamer. Sobald sie einen gemeinsamen Rythmus gefunden hatten, begannen sie zu reden. Über dies und jenes. Absichtslos, vertraut, von einem Thema in ein anderes gleitend, mit Gesprächspausen, die nie störten.
»Erzähl, wie ist deine neue Freundin«, fragte Amelie irgendwann. Sie wusste von Lizzi, dass es sich um die Chefeinkäuferin eines
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