Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
starrte moros vor sich hin, das Bild der Frau von heute, das der Vater gezeichnet hatte, entsprach ihren eigenen Zukunftsvorstellungen ganz und gar nicht.
Lizzi hingegen legte los, ihre hellgrauen Augen sprühten wie Sternspritzer, geballte Energie hatte Amelie die Ältere dieses Phänomen zu nennen beliebt. »Meine Worte, Josef, genau so ist es! Aber meinem Kind wünsche ich halt eine andere Zukunft. Eine altmodische, wenn du so willst. Sie soll nicht mehr im Beruf stehen müssen, wenn sie verheiratet ist. Sie soll nicht jeden Groschen umdrehen müssen, und sie soll Zeit für ihren Mann, für Kinder und für ihr Zuhause haben. Ich wüsste genau, wer ihr so etwas bieten könnte…«
Josef und Amelie sahen einander an und grinsten, Lizzi hob kämpferisch ihr Kinn. »Jaja lacht nur, aber blöd ist die Idee nicht.« Sie war überzeugt, dass Lorenz Lenz der ideale Mann für Amelie wäre. Er war tüchtig, erfolgreich, fesch, sympathisch, lebte in Salzburg, würde einmal die Familienfirma führen und, das ließ Lizzi sich nicht ausreden, er liebte Amelie. Die Ihren konnten ihr noch so oft versichern, dass Lorenz seine Kusine liebte wie ein Bruder seine Schwester. Und dass Amelie in Lorenz nie den Mann, sondern immer nur den Vetter sehen würde. Und dass, selbst wenn die beiden einander liebten, eine Ehe des nahen Verwandtschaftsgrades wegen weder ratsam noch von der Kirche erlaubt sei. Da könne man Dispens erwirken, pflegte Lizzi zu erwidern, wozu sei man mit dem Erzbischof von Salzburg auf einem Fuß. »Fuß ja, aber auf keinem guten«, pflegte Josef einzuwerfen, worauf Lizzi stets entgegnete: »Fuß genügt.«
Manchmal fiel Lizzi ihrer Tochter auf die Nerven. Jetzt etwa. »Gib die Hoffnung nicht auf«, sagte sie schnippisch, »ich bring dir schon noch einen Schwiegersohn ins Haus. Nur der Lorenz kann’s nicht sein. Das wäre Inzucht. Stell dir vor, deine Enkerln werden Tepperln.«
»Nicht komisch«, wischte Lizzi die Bemerkung ihrer Tochter beiseite. »Ich wünsche mir ja nicht, dass du heiratest, bloß um verheiratet zu sein. Da hättest du gleich beim Hermann bleiben können. Nein, ich will, dass du dich einmal toll, rasend, bis zur Verblödung verliebst. Deine Lieben waren bis jetzt eher lau.«
Wenn du wüsstest…Amelie dachte an X und kriegte rosa Wangen. »Du vergisst die Kanaille, Mutter«, lenkte sie ab. Josef verdrehte die Augen, und Lizzi begann zu kichern. »Mein Gott, der Franz, ja. Aber das war nicht Liebe bis zur Verblödung, in den hast du dich aus Blödheit verliebt.«
Franz Moser, angehender Mittelschullehrer für Mathematik und Latein, war der erste Mann in Amelies Leben gewesen. Sie war knapp vor der Matura gestanden. Ihre Chancen, in Mathe zu bestehen, hatte der Realist Josef Lenz auf weniger als zehn Prozent eingeschätzt. Um nichts unversucht zu lassen, hatte er einen Nachhilfelehrer engagiert. Den unglücklicherweise verheerend gut aussehenden Franz Moser.
Amelie war überzeugt, ihr Herz verloren zu haben. In Wahrheit waren es zunächst ihr Kopf und in der Folge ihre Jungfernschaft. Franz behauptete später, sie hätte ihn verführt, indem sie sich angesichts schwer zu lösender Rechenaufgaben die Lippen auf Hochglanz geleckt und ihre violetten Augen habe schwimmen lassen, bis er nicht mehr habe an sich halten können. Das geschah etliche Male in seinem Untermietzimmer, in dem die Nachhilfestunden stattfanden. Ein einziges Mal bloß wurde der Unterricht in das Haus in Anif verlegt, und prompt flog das Pärchen auf: Amelie die Ältere war kurz davor zu Lenzens nach Salzburg gezogen und hatte in der Mansarde Quartier genommen. Es war später Nachmittag, Josef und Lizzi nicht daheim, und aus Amelies Zimmer tönten Laute, welche die alte Dame an das Stöhnen eines von Übelsein befallenen Menschen denken ließen. Als sie nach wiederholtem Klopfen und mehrfachen leisen »Amelie«Rufen immer noch keine Antwort erhalten hatte, öffnete sie die Tür und fand ihre Enkelin in einer Verstrickung mit dem Mathelehrer, welche eine einzige Deutung zuließ.
Mit der Nachhilfe war es fristlos vorbei, Amelie fiel in Mathe durch und musste im Herbst zu einer Nachprüfung antreten. Und Amelie die Ältere bemühte fortan Friedrich Schillers Räuber , wenn sie über den Entjungferer ihrer Enkelin sprach. Franz heißt die Kanaille wurde mit der Zeit zur »Kanaille Franz« und ging schließlich zur bloßen »Kanaille« verkümmert in den Sprachgebrauch der Familie ein.
Um der Großmutter eine neuerliche
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