Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
die Sicht rauben - ihn gegen seinen Willen beschützen. Und er hatte nichts dagegen unternommen, gar nichts. Weder hatte er auf Todd Sweets zunehmend hektische Nachrichten auf dem Anrufbeantworter reagiert, noch war er zu der entscheidenden Versammlung gegangen, um seine Stimme abzugeben. Kyra dagegen hatte diese Mauer zu ihrer Mission gemacht, hatte ihre ganze Maklerenergie hineingesteckt, Briefe gefaltet, herumtelefoniert, Seite an Seite mit Jack und Erna gearbeitet, um dafür zu sorgen, daß die Uneinnehmbarkeit der Wohnanlage erhalten blieb und kein irdisches Wesen, ob Zweibeiner oder Vierbeiner, ohne Einladung hereinkonnte.
    »Ja, gut«, sagte Delaney, »kommen Sie«, und er ging mit dem Mann ums Haus herum, entriegelte das Gartentor und klemmte es mit einem Stein fest, der zu diesem Zweck dort lag. Der Wind peitschte die Bäume, und zwei Steppenrollen (eigentlich Salsola kali, Russische Distel, auch so ein unseliger Zuwanderer) kullerten durch den Garten und verfingen sich in dem nutzlosen Zaun. Eine plötzliche Bö warf Delaney eine Handvoll Staub ins Gesicht, und der Sand knirschte zwischen seinen Zähnen. »Aber machen Sie's unbedingt wieder zu, wenn Sie fertig sind«, sagte er und deutete vage in Richtung des Pools. »Wir wollen nicht, daß irgendwelche Kinder einfach hereinspazieren.«
    Der Mann nickte knapp, dann drehte er sich um und rief etwas auf spanisch, was seine Männer in Bewegung versetzte. Sie kletterten auf die Autos, lösten die Spannseile, Schubkarren tauchten aus dem Nichts auf. Delaney wußte nicht recht, was er tun sollte. Eine Zeitlang stand er an seinem Gartentor, wie um sie willkommen zu heißen, als wäre er Gastgeber bei einer Pool-Party oder einem Kochwettbewerb, und die Prozession von düster dreinblickenden braunen Männern marschierte an ihm vorbei mit Spitzhacken, Schaufeln, Maurerkellen, Säcken voll Putz und Zement, den Blick zu Boden gerichtet. Aber irgendwann fühlte er sich unsicher, fehl am Platze, wie ein unbefugter Eindringling auf seinem eigenen Grundstück, und er drehte sich um und ging ins Haus zurück, durch den Flur und in sein Arbeitszimmer, wo er sich wieder an den Schreibtisch setzte und die Farbfotos von Truthahngeiern anstarrte, bis sie anfingen, auf der Buchseite zu flimmern.
    Er versuchte, sich zu konzentrieren, aber es gelang ihm nicht. Da war dieser ständige Hintergrundlärm - unverständliche Rufe, heulende Maschinen, das Klappern von Werkzeug und das pausenlose Kratzen des Betonmischers, unterlegt vom blechernen, schwindelerregenden Krach eines tragbaren Stereoradios, das auf einen mexikanischen Sender eingestellt war. Er fühlte sich belagert. Zehn Minuten nachdem er sich gesetzt hatte, stand er am Fenster und sah zu, wie sich sein Garten veränderte. Die Mauer war bis zum Haus der Cherrystones nebenan fertig; auf der anderen Seite lagen sie noch drei Häuser zurück, waren erst bei Rudy Hernández, aber die Schlinge zog sich zu. Schon vor Wochen hatten sie die Grundstücksgrenzen vermessen, und jetzt hoben die Arbeiter die Gruben für die Mauerfundamente aus, direkt vor dem zwei Meter sechzig hohen Maschendrahtzaun, der natürlich wieder weg mußte, das war Delaney klar. Das Ding war ohnehin völlig nutzlos gewesen, und jedesmal, wenn er es ansah, erinnerte es ihn an Osbert. Und an Sacheverell.
    Kyra und er würden für den Abriß aufkommen - noch eine Ausgabe -, aber das war ihm egal. Was ihm jedoch weh tat, was ihn wirklich ärgerte - so sehr, daß er beinahe doch losgegangen wäre und gegen die Mauer gekämpft hätte, gleichgültig, was Jack oder Kyra dazu sagten -, das war die Tatsache, daß er nun überhaupt nicht mehr ohne Umweg in die Berge gelangen konnte, da war nicht einmal ein Tor, gar nichts. Der Eigentümerverband war der Meinung gewesen, die Mauer sei sicherer, wenn es keine Durchlässe darin gäbe, außerdem kosteten Tore Geld. Doch was hieß das für Delaney? Wenn er einen kurzen Spaziergang durch die Natur machen wollte, wenn er Eidechsen, Fliegenschnäpper oder gar Coyoten beobachten wollte, dann mußte er jedesmal entweder über die Mauer klettern oder den weiten Weg bis zum Tor an der Straße und wieder zurück gehen. Was eindeutig zu Lasten der Spontaneität ging, soviel war sicher.
    Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, stand erneut auf, setzte sich wieder. Der Wind zerrte an den Fensterscheiben, Arbeiter brüllten, und dazwischen erklang immer wieder die wahnwitzige blecherne Fröhlichkeit der ranchera-Musik. An Arbeit

Weitere Kostenlose Bücher