América
hervor, »ich will nur wandern. Ein Schritt vor den anderen, verstehst du?«
Beim Da-Ros-Haus war niemand, kein Verbrecher, kein schwarzer Mann, kein Makler, kein Kunde. Kyra ging mit ihm durch sämtliche Räume, wie sie es alle drei oder vier Abende machte, rühmte die Vorzüge des Hauses, als wollte sie es ihm verkaufen, und diesmal fragte er sie rundheraus, ob sie sich nicht vorstellen könne, das Haus abzugeben. »Immerhin hast du es jetzt ... wie lange?« sagte er, »neun Monate? - ohne daß auch nur einer angebissen hätte.«
Sie standen in der Bibliothek, die ledernen Rücken der sechstausend von einem Selbstmörder sorgfältig ausgewählten Bücher schimmerten matt im Licht der Wandleuchter, und Kyra fuhr herum, um ihn wissen zu lassen, er habe keine Ahnung vom Geschäft, schon gar nicht vom Maklergeschäft. »Für ein Objekt wie dieses würde so mancher über Leichen gehen«, sagte sie. »Wortwörtlich über Leichen. Und bei einer so einmaligen Liegenschaft muß man eben bisweilen Geduld haben, bis der richtige Kunde kommt - und irgendwann kommt er, glaube mir. Das weiß ich. Ich weiß es einfach.«
»Du klingst, als müßtest du dich selbst davon überzeugen.«
Eine Bö brachte die Fensterscheiben zum Klirren. Der Santa-Ana-Wind blies mit voller Kraft, und die Goldfischteiche würden völlig verdreckt werden. Kyra lächelte ihn übers ganze Gesicht an - heute abend war ihre gute Laune durch nichts zu verderben -, und dann ergriff sie seine Hände und hob sie in die Höhe, wie zum Eröffnungsschritt eines komplizierten Tanzes. »Vielleicht hast du recht«, sagte sie, und daraufhin ließ er das Thema fallen.
Auf dem Heimweg kauften sie bei Gitello ein paar Sachen - diverse Kleinigkeiten - für das Festessen ein, das sie zu Thanksgiving am Donnerstag ausrichten wollten. Sie hatten die Cherrystones und die Jardines eingeladen, außerdem Kyras Schwester, deren Mann und ihre drei Kinder, und Kyras Mutter flog extra aus San Francisco ein. Zwar hatten sie bereits zweihundertachtzig Dollar bei Von's in Woodland Hills gelassen, wo fast alles billiger war, trotzdem war die Einkaufsliste mit den diversen Kleinigkeiten erschreckend lang geworden. Kyra wollte das Kochen übernehmen mit Delaney als Sous-chef und Orbalina, dem Dienstmädchen, zum Abräumen und Spülen, und sie plante ein traditionelles Abendessen: gebratener Truthahn mit Kastanienfüllung und einer sämigen Soße, dazu Kartoffelbrei und Rübenmus, Preiselbeersoße, zart gedünsteten Spargel, drei kalifornische und zwei französische Weine, als Vorspeise eine überbackene Kürbissuppe und einen gemischten Blattsalat, einen Käsegang und zum Nachtisch ein selbstgemachtes Granite aus Grapefruits und Nektarinen, einen Haselnußrisotto-Pudding und creme brulee, dazu Espresso, Kaffee Wiener Art und Armagnac.
Delaney holte die vorläufige Liste aus seiner Brieftasche, während Kyra energiegeladen durch die Tür stürmte und einen Wagen aussuchte. Die Liste war imposant. Sie brauchten unter anderem Schlagsahne, junge Karotten, Sirup, gemahlene Muskatblüte, zwei Kilo Puderzucker, Balsamico-Essig, Stangensellerie und Kapern, dann eine Auswahl von Aufschnitt, marinierte Artischockenherzen, griechische Oliven und etwas caponata für eine Vorspeisenplatte, zu der sich Kyra soeben entschlossen hatte. Als Delaney ihr durch die vertrauten Gänge folgte und zusah, wie sie die Etiketten von geräucherten Babyaustern oder eingelegten Champignons studierte, spürte er, wie sich seine Laune besserte. Es war alles in Ordnung, kein Problem. Sie war wunderschön. Sie war seine Frau. Er liebte sie. Wozu Trübsal blasen, wozu grübeln, wozu eine weitere Nacht auf dem Sofa verbringen? Die Mauer war da, ein unleugbares, konkretes Faktum, und sie arbeitete sowohl für wie gegen ihn, und wenn er klug war, konnte er sie zu seinem Vorteil nutzen. Es war Thanksgiving, und er sollte dankbar sein.
Er stand neben Kyra, berührte sie, gab ihr Anregungen und Ratschläge, atmete die vielfältigen Düfte ihres Haars und ihres Körpers ein, während sie den Einkaufswagen mit bunten, unwiderstehlichen Schachteln belud, mit Dingen, die sie brauchten, Dingen, die ihnen ausgegangen waren, und Dingen, die sie brauchen könnten oder niemals brauchen würden. Hier war es, ein überreichliches Schlaraffenland mit allen Früchten dieser Erde, für sie gesammelt, verpackt und präsentiert, nur für sie allein. Er fühlte sich sofort besser, so viel besser, daß es ihn fast übermannte. Wie hatte er
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