América
war nicht zu denken. Bis Mittag waren die Fundamente gesetzt, und das erste zwanzig Zentimeter hohe Band aus Betonblöcken kroch entlang der Grundstücksgrenze. Wie sollte er sich da konzentrieren? Wie konnte er auch nur daran denken? Er wurde eingemauert, lebendig begraben, und er konnte überhaupt nichts dagegen tun.
Als Kyra ihn abholte, damit er mit ihr zum Da-Ros-Haus fuhr, um es abzuschließen, fühlte er sich wie ein Raubtier im Käfig. Er hatte ohnehin wenig Lust, sie siebenmal pro Woche abends dorthin zu begleiten, aber die Sache mit der Schmiererei auf dem Haus ließ ihm wenig Wahl. (Und er dachte an diesen Dreckskerl mit seinen »Fluxettels«, und gleich war seine Laune wieder beim Teufel.) »Hoffentlich bist du jetzt zufrieden«, sagte er beim Einsteigen.
Sie war ganz die Geschäftsfrau, fröhlich und gutgelaunt, gekleidet in ihre beste Maklerkluft, der Lexus ein mächtiges Maklerwerkzeug, das ihr jederzeit zu Diensten war. Es war schon dunkel. Der Wind heulte hinter den Scheiben. »Was?« fragte sie unschuldig. »Warum ziehst du so ein Gesicht? Hab ich was falsch gemacht?«
Wutentbrannt sah er aus dem Fenster, während sie den Gang einlegte, die Einfahrt hinaus und den Piñon Drive entlang fuhr. »Die Mauer«, sagte er. »Sie haben sie fertig. Oder fast. Sie ist fast exakt so hoch wie der Drahtzaun.«
Sie waren jetzt auf dem Arroyo Blanco Drive, Kyra winkte dem Halbidioten am Tor kurz zu. Es war ihr allabendliches Ritual, das sie regelmäßig um sechs durchzogen, während das Abendessen auf dem Ofen wartete und der bereits abgefütterte Jordan vor Selda Cherrystones Fernseher saß: zum Tor hinaus, den Berg hinauf, die gewundene Einfahrt entlang zum Haus der Da Ros, aus dem Auto, ins Haus, einen kurzen Blick in den Garten und dann wieder hinaus und zurück. Er haßte es. Es war ihm zuwider. Es verschwendete seine Zeit, und wie konnte sie von ihm erwarten, ein anständiges Essen hinzukriegen, wenn er jeden Abend Phantome jagen mußte? Sie sollte das Objekt abgeben, genau das sollte sie tun, es loswerden und jemand anders finden, der für die Blumenbeete und die Fische sorgte und sich wegen der Mexikaner im Gebüsch den Kopf zerbrach.
»Na gut«, sagte sie achselzuckend, den Blick auf die Straße gerichtet, »wir werden Al Lopez kommen lassen, damit er den Zaun abreißt; den werden wir jetzt ja wohl nicht mehr brauchen« - und hier kam der Appell an sein Schuldgefühl, der Gegenangriff -, »falls wir ihn je gebraucht haben.«
»Ich kann nicht mehr aus meinem eigenen Garten raus.«
Sie lächelte beschwingt. Der Wind wehte. Trockene Halme und gelegentlich ein Steppenroller wirbelten im dünnen Lichtstrahl der Scheinwerfer. »Auf dem Rücksitz«, sagte sie. »Ein Geschenk. Für dich.«
Er drehte sich um. Hinter ihnen fuhr ein Auto dicht auf und schien ihm ins Gesicht. Auf dem ledernen Rücksitz lag eine kleine Trittleiter aus Aluminium, etwa einen Meter lang, wie man sie zum Gardinenaufhängen oder zum Wechseln der Glühbirne im Flur benutzt, und an den obersten Holm war eine rote Satinschleife geklebt.
»Die löst dein Problem«, sagte sie. »Jederzeit. Du kletterst einfach drüber.«
»Ja, sicher. Und was ist mit dem Wassergraben und dem siedenden Öl?«
Sie ignorierte seinen Sarkasmus und sah unverwandt auf die Straße, mit gleichmütiger, gefaßter Miene.
Natürlich hatte sie recht. Wenn die Mauer schon sein mußte, und dank der Tyrannei der Mehrheit mußte sie sein - 127 dafür, 87 dagegen -, dann würde er sich daran gewöhnen müssen, und dies war ein höchst einfaches Mittel dazu. Er hatte eine plötzliche, flüchtige Vision von sich selbst, wie er mit seinem Rucksack oben auf der Mauer saß, und er dachte, daß diese Mauer vielleicht doch nicht so schlimm war, wie er gemeint hatte, wenn er nur die Verletzung seiner Selbstachtung verwinden könnte. Nicht nur, daß sie Einbrecher, Vergewaltiger, Graffitisprayer und Coyoten aus der Wohnanlage fernhielt, sie würde auch Leuten wie den Dagolians den Weg in die Hügel versperren. Er konnte sich kaum vorstellen, daß Jack und Selda Cherrystone diese Barriere für ihren Abendspaziergang erklommen, oder Doris Obst, ja nicht einmal Jack Jardine. Delaney würde die Hügel für sich haben, als sein ganz privates Naturreservat. Der Gedanke bemächtigte sich seiner, hob seine Laune, aber er konnte es nicht zugeben. Nicht vor Kyra, noch nicht. »Ich will nicht klettern«, sagte er schließlich und hob das Verb mit einem möglichst giftigen Unterton
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