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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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vorbeifahrenden Autos, den Messerstechereien, dem Blutzoll im Verkehr.
    »Vielleicht doch nicht«, sagte Delaney. »Vielleicht hat sie sich geirrt.«
    Kyra hatte ihren gehetzten Ausdruck aufgesetzt. »Ich muß hin und nachsehen.«
    »Was - jetzt?« Delaney konnte es nicht fassen. »Das ist gefährlich. Das Feuer ist noch nicht aus, ist dir das klar? Es könnte wieder aufflackern. Außerdem haben sie vermutlich die Straße gesperrt.«
    Er hatte recht, und sie wußte es. Antriebslos sank sie in einen Sessel, klammerte sich verzweifelt ans Telefon. Sie überlegte, wen sie als nächstes anrufen sollte, wie sich die Straßensperren umgehen ließen, wie sie die Lage in den Griff kriegen konnte. »Im Augenblick kannst du gar nichts machen«, sagte er, »und wir müssen erst mal den ganzen Krempel aus den Autos laden, bevor wir irgendwas unternehmen können. Oder willst du, daß uns das Zeug geklaut wird?«
    In diesem Moment kam Kit herein, die immer noch etwas desorientiert wirkte, aber doch wieder halbwegs die alte war - sie hatte sich einen Turban um den Kopf gewickelt, um das zerzauste Haar zu verbergen, und Lippenstift aufgetragen. Delaney sah den Gegenstand, den sie etwas unbeholfen in der rechten Hand hielt, den Arm vom Körper weggestreckt, so als hätte sie ein Stück Unrat oder eine tote Ratte unter dem Bett gefunden. Aber was war das -ein Gürtel? Ein Walkman? Nein, es war ein schwarzes Plastikkästchen, das an einem sauber durchtrennten Riemen hing. In der Hand seiner Schwiegermutter wirkte das Ding irgendwie verkehrt, abnorm und fehl am Platz, aber dennoch enorm aussagekräftig.
    »Das hier hab ich in meiner Handtasche gefunden«, sagte Kit, und ihre Stimme ging vor Überraschung und Verwirrung in die Höhe. »Ich weiß nicht, wie das da reingekommen ist.«
    Delaney wußte es sehr wohl. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, er warf einen Blick auf Kyra und sah, daß sie es ebenfalls begriff. »Dominick Flood«, war alles, was er herausbrachte.
    »Aber weshalb ...?« begann Kyra.
    Die Erkenntnis übermannte Kit mit aller Macht, und ihre Augen versanken aus lauter Scham und Verletztheit in ihren Höhlen - Dominick Flood hatte ein äußerst böses Spiel mit ihr gespielt, hatte sich an sie gehängt und auf seine Gelegenheit gewartet. »Ich kann es nicht glauben«, sagte sie.
    Delaney sah ihn vor sich, ölig und jovial, wie er mit Kit am Arm das Feuerspektakel aus der Sicherheit der Polizeiabsperrung beobachtet hatte, und wie ihm langsam gedämmert sein mußte, daß dies seine große Chance war. Der Überwachungsmelder würde sein Signal weiterhin aus Arroyo Blanco senden, wenn auch nicht aus seinem Haus, aber die Leute vom Haft-im-eigenen-Heim-Programm in Los Angeles würden erfahren haben, daß er über Nacht evakuiert worden war, daß es einen Notfall gegeben hatte - wahrscheinlich würden sie Tage brauchen, um dahinterzukommen. Und Flood? Ein Bankkonto auf den Bahamas? Ein Chalet in der Schweiz, ein Strandhaus auf den Seychellen? Er würde die Einzelheiten bestimmt gut geplant haben.
    Kit holte tief Luft, und es klang nach Tränen. Sie sah aus, als würde sie zusammenbrechen, und Kyra war zu ihr gegangen, um sich neben ihr auf das Sofa zu setzen und ihr töchterlichen Trost zu spenden, als Jordan ins Zimmer gestürzt kam, noch schmutziger und unordentlicher gekleidet als zwanzig Minuten zuvor. »Mom«, keuchte er atemlos, und man sah, wie sich seine Rippen unter dem dünnen Stoff des T-Shirts hoben und senkten, »ich hab überall gesucht, aber ich kann Dame Edith nirgends finden.«

4
    Cándido sah die Katze, die América in den Armen hielt wie eine Puppe, während ihr Körper vor Schmerz starr wurde, sich entspannte und bei der nächsten Wehe erneut verkrampfte. Im ersten Augenblick wollte er sie verscheuchen, doch er bremste sich. Wenn es sie von den Schmerzen ablenkte, warum nicht? - und das Tier wirkte genauso verloren und hungrig wie sie, angesichts des qualmenden Unheils um sie herum schien es froh zu sein, sich zusammenrollen und seine Frau trösten zu können. Na gut. Aber das Feuer kroch immer näher, mal wurde es vom Wind angefacht und im nächsten Moment, wenn ihm die Luft ausging, wieder zurückgeschlagen. Hier war es nicht sicher - sie gingen ein Risiko ein, ein großes Risiko -, aber er wußte nicht, was er noch tun konnte, außer zuzusehen und abzuwarten. Und zu beten. Vielleicht auch das.
    Er hatte inzwischen herausgefunden, was auf der anderen Seite der Mauer war, und was er gesehen hatte,

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