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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Hundefutterbehälters zu erreichen und ihn an der Mauer entlang zu sich zu ziehen.
    Er ließ alles liegen, wo es war, sein Magen knurrte jetzt laut, und schlich durch die Büsche weiter den Hügel hinauf, bis dicht an die verkohlte Ödnis heran, die das Feuer auf dem Hang hinterlassen hatte. Der Brandgeruch, in den sich der Gestank nasser Asche mischte, überlagerte alles, sogar den starken Duft nach Salbei, der unter seinen Fingern brach und zerkrümelte, während er auf Händen und Füßen nach oben kroch. Und heiß war es auch, in der Kühle des Morgens herrschte eine Hitze wie am Nachmittag, als wären tausend Öfen voll aufgedreht, und an manchen Stellen ringelten sich hartnäckige Rauchfähnchen zum Himmel. Cándido achtete darauf, sich verborgen zu halten. Weiter unten sah er Bewegung - die Feuerwehrleute durchkämmten die gesamte Gegend, um die letzten Glutnester zu löschen -, und alle paar Minuten donnerten Hubschrauber über ihn hinweg. Er durfte sich hier auf keinen Fall erwischen lassen - das wäre fatal. Es bedeutete Erklärungen und Verhöre, Handschellen und Gummiknüppel, und wenn nicht die Gaskammer, dann doch das Gefängnis, mit Gitterstäben, gabachos als Wärtern und hohen Steinmauern mit messerscharfem Draht oben drauf. Und wie sollte er dann für América sorgen? Und für seine Tochter?
    Er brauchte eine halbe Stunde, bis er fand, was er suchte. Im Zickzack erforschte er den Berghang, trat dabei scharfe Steinbrocken los, Ratten, Eidechsen und andere heimatlose Wesen stoben mit einem trockenen Rascheln von Pelz oder Schuppen in alle Richtungen davon, und endlich kam er an eine waagerechte Felsleiste, die vielleicht einmal Teil eines urzeitlichen Flußbettes gewesen war. Sie war knapp fünfhundert Meter oberhalb der Geröllhalde, an deren Ende die Wohnanlage sich ausbreitete, und bot eine perfekte Aussicht auf alles, was weiter unten lag. Das war der Platz. Er würde ausreichen müssen. Von hier aus konnte man von weitem jeden sehen, der sich näherte, und es war auch nahe genug zum Brandgebiet, um zufällige Wanderer oder Jogger abzuhalten - und auch die Polizei auf der Suche nach mexikanischen Feuerteufeln -, und das Gestrüpp rings herum wucherte dicht, ein durchgängiges, verfilztes Gewirr aus Dornen und Stacheln. Hier würden sie ihn niemals finden.
    Während er sich zu dem Schuppen zurückkämpfte, ließ er sich durch den Kopf gehen, was er alles brauchte. Er fing ja wieder bei Null an, wie ein schiffbrüchiger Matrose, denn ihre gesamte Habe - Kleider, Decken, Essen, die zwei verbeulten Töpfe samt Holzlöffel -, hatte das Feuer verzehrt. Das Geld fiel ihm ein, die neu aufgefüllten Ersparnisse für die Wohnung, und wie lächerlich war das doch alles - er war seinem Traum keinen Schritt näher gekommen als damals auf der Müllhalde von Tijuana. Und da hatte er wenigstens ein paar Bretter über dem Kopf gehabt, die ihn bei Regen trockenhielten. Aber das Geld müßte das Feuer überstanden haben, sicher unter den Steinen vergraben ... Steine brannten doch nicht, oder? Sobald sich alles etwas beruhigt hatte, würde er als erstes in den Cañon hinabschleichen und es holen, aber das konnte noch Tage dauern, und sie brauchten jetzt gleich einen Unterschlupf, ein Obdach und etwas zu essen. Sie durften es nicht riskieren, noch länger als eine oder zwei Stunden in dem Schuppen zu bleiben. Bestimmt würde bald ein Gartenarbeiter geschickt werden, um die Asche wegzukehren und das große Schwimmbecken der Anlage zu reinigen - Cándido konnte den großen, dunklen, bedrohlichen Spiegel der Wasserfläche sehen, mitten zwischen den Wohnhäusern, wie ein Wasserloch in der afrikanischen Steppe, wohin die Tiere mit Hörnern zum Trinken kamen und wo jene mit Fangzähnen auf der Lauer lagen - noch aber blieb etwas Zeit, denn auf der Cañonstraße war keine Bewegung zu erkennen. Sie war abgesperrt. Man hatte immer noch Angst vor dem Feuer. Und vor Plünderern.
    Er weckte América nicht auf, noch nicht. Viermal plagte er sich zu der Felsleiste hinauf und wieder zurück, mit dem Werkzeug, den Säcken voll Obst und Gemüse - die leeren Säcke wollte er als Decken verwenden -, und so vielen Holzpaletten, wie er tragen konnte. Er hatte den Stapel Paletten auf der Rückseite des Schuppens entdeckt, und obwohl ihm klar war, daß der Gartenarbeiter ihr Fehlen garantiert bemerken würde, konnten bis dahin Wochen vergehen, und was sollte er dann schon tun? Sobald Cándido die Paletten gesehen hatte, war ihm ein

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