América
beruhigte ihn keineswegs. Im Gegenteil: wenn er darüber nachdachte, raste sein Herz so sehr, daß er Angst hatte, es könne bersten. Eine Siedlung mit großen, noblen Häusern lag nur einen Steinwurf entfernt - soviel hatte er vom Dach des Schuppens erkennen können -, und die Anlage war stockdunkel, völlig verlassen. Er wußte jetzt, wo er war. Hier hatte er damals mit Al Lopez diesen Zaun errichtet, an die Mauer erinnerte er sich allerdings nicht - die war neu, da war er sich sicher. Erschauern ließ ihn jedoch der Gedanke, daß die Bewohner offenbar evakuiert worden waren, daß sie ihre Sachen, ihre schönen noblen Häuser, ihre Rasenflächen und Gärten und alles andere zurückgelassen hatten. Das hieß, es sah schlecht aus für ihn und América. Das Feuer kam auf sie zu, kein Zweifel, und sie saßen in der Falle, würden lebendig verbrannt werden, bis die Fettschicht unter der Haut brutzelte wie Fleisch in der Pfanne, bis ihre Knochen zu Asche verkohlt wären. Er betrachtete América. Er saß bei ihr. Und er betete.
Irgendwann in den ersten Morgenstunden dieser unerträglichen Nacht schrie América so heftig auf, daß es wie Gebell klang, wie Hundegebell, und die Katze erschrak und sprang von ihr herunter. América versuchte sich von dem Lager aus Saatgutsäcken zu erheben, das er ihr bereitet hatte. »Cándido«, krächzte sie, »ich muß mal, ich muß austreten, ich ... ich ... ich kann es ... nicht mehr zurückhalten«, und als er ihr aufhelfen wollte, sah er es zwischen ihren Beinen, zwischen ihren nackten, blutverschmierten Oberschenkeln: ihr Baby, sein Baby, sein Sohn. Die Spitze des Säuglingskopfes kam aus ihr heraus, nasse schwarze Haarbüschel, und er drückte sie nieder, hob ihre Beine an und ließ sie pressen, es kam, und weiterpressen, pressen, pressen. Dann gab es ein Geräusch, als würde Luft aus einem Ballon abgelassen - pfffft -, und da war er, sein Sohn, lag ganz verhutzelt in einer Hülle aus Haut, überall verklebt mit Blut und Schleim und etwas, das aussah wie Quark. Dröhnend flog eines der großen Löschflugzeuge dicht über sie hinweg, und man hörte das Zischen der abgeworfenen Ladung, die weiter unten die Flammen erstickte, und Cándido roch den kräftigen menschlichen Geruch der Geburt, und jetzt kam auch die Plazenta, feucht und warm, mitten in diesem Schuppen voller Saatgut, Chlorsalz und Kunstdünger. América lächelte entrückt. Sie nahm das Baby in die Arme, die blaue Nabelschnur hing noch an ihm, wischte ihm den Mund frei, brachte es zum Atmen, zum Schreien, ein dünnes Maunzen wie das der Katze, und sie hielt es im Arm, das kleine Ding, lebendig und gesund.
Dies war der Augenblick, auf den Cándido gewartet hatte. Er lehnte sich mit dem Messer vor und durchtrennte die blaue Schnur, die an eine Wurst erinnerte, und dann wischte er mit einem wassergetränkten Lappen die Schmiere von dem kleinen Körper und den winzigen Gliedern. Er fühlte sich großartig, durchdrungen von einer Energie und Freude, die seiner Armut, seinen Nöten und Bedrängnissen, ja sogar dem Inferno, das in der Tiefe des Cañons aus seinem armseligen Feuerchen entstanden war, hohnsprach. Er hatte einen Sohn, den ersten in seiner jungen Familie, die neue Generation, die auf dem Boden der USA geboren war, einen Sohn, der alles haben würde, was die gabachos hatten und mehr. Und dann, als er mit dem Lappen über den Bauch des Babys fuhr, während América es zum erstenmal an die Brust legte - als er es zwischen den Beinen sauberwischte -, da entdeckte er etwas im verschwommenen Halbdunkel, das ihn zögern und innehalten ließ, und er erstarrte mit dem Stofflappen in der Hand. Das war kein Sohn. Das war eine ...
Doch América hatte es schon gemerkt. »Weißt du, wie ich sie nennen werde?« sagte sie mit schläfriger Stimme, wie jemand, der einen so schönen Traum träumt, daß er ihn nicht loslassen möchte.
Cándido gab keine Antwort. Er versuchte die Tatsache zu verdauen, daß er Vater geworden war, endlich Vater - Vater einer Tochter -, und sein Verstand raste bereits weiter, zu dem Feuer und den verlassenen Häusern, wo sie in der nächsten Nacht bleiben sollten und in der Nacht darauf, und was mit ihm passieren würde, wenn ihn die Gringos erwischten.
Dann sprach sie wieder, richtig träge vor Zufriedenheit. »Ich werde sie Socorro nennen«, sagte sie. »Ist das nicht ein schöner Name? Socorro«, wiederholte sie, stupste mit der Nasenspitze gegen das winzige rote Ohr und gurrte ihrer Tochter zu:
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