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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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»Socorro, Socorro, Socorro ...«
    Der Morgen graute. Das Feuer hatte sie verschont. Es war in der Nacht über den Hügel davongerast, mit prasselndem Flügelschlag, und jetzt stießen die Hubschrauber und die dicken, prallvollen Löschflugzeuge außer Sichtweite ins nächste Tal hinab. Cándido hatte nicht geschlafen, keine Sekunde lang. Er hatte den Docht der Petroleumlampe heruntergedreht und sie neben América gestellt, dann war er hinausgegangen und hatte sich auf das Dach des Schuppens gesetzt, um den Krieg zwischen Feuer und Wasser zu beobachten. In der Ferne sah er Menschen, kleine silhouettenhafte Strichmännchen vor den Flammen, ihre gewundenen Schläuche und die heransausenden Flugzeuge. Zweimal dachte er, das Feuer käme in ihre Richtung, und er war nahe daran, América und das Baby zu wecken, um in aller Eile zur Straße zu laufen, aber dann drehte der launenhafte Wind erneut und blies auf einmal von hinten, trieb das Feuer über die Hügelkuppe davon, und sie waren gerettet.
    Nichts rührte sich im schlierigen Licht des Tagesanbruchs, nicht einmal die Vögel. Rauch hing schwer über dem Cañon, in der Ferne dampften die schwarzverkohlten Berge, erschöpfte Sirenen heulten noch. Vorsichtig stieg Cándido vom Schuppendach und sah kurz zu América und dem Baby hinein. Sie lag auf der Seite und schlief, bedeckte ihr Kind sanft mit dem Arm, so ruhig und gelassen, als wäre sie Privatpatientin in einem Krankenhaus und hundert Schwestern paßten auf sie auf. Auch die Katze war da, sie hatte es sich in Américas Kniekehlen bequem gemacht. Sie blickte zu ihm auf und gähnte, als er die Hand ausstreckte, um die Lampe auszudrehen.
    Er hatte nicht viel Zeit - zwei, drei, vier Stunden, allerhöchstens -, und er wußte, was er zu tun hatte und wieviel Überwindung es ihn kosten würde. Das Wichtigste war Essen. Er war kein Plünderer, kein Dieb, kein pandillero oder ladrón, aber es ging ums Überleben, um das Lebensnotwendige - er hatte jetzt Frau und Tochter, und die mußten essen -, und er schwor bei der Jungfrau von Guadalupe, daß er alles zurückzahlen würde, was er entwendete. Direkt hinter der Mauer war der Garten eines Hauses, und er kletterte geräuschlos auf den Schuppen und ließ sich auf der anderen Seite der Mauer hinunter, ohne zu überlegen, wie er wieder hinaufkommen sollte.
    Der Garten lag still und ruhig da, der Cañon hielt im Nachhall des Feuers den Atem an. Niemand war zu Hause. Aber sie würden zurückkommen, sehr bald sogar, und er mußte rasch ans Werk gehen. Ins Haus würde er nicht einbrechen - das täte er niemals, und wenn er auf der Straße Hungers sterben müßte -, aber auch hier gab es einen Gartenschuppen (einen kleinen, nicht so geräumig wie der große Geräteschuppen, in dem América und seine Tochter völlig sorglos schliefen), darin fand er ein paar Dinge, die er brauchen würde: einen Hammer, eine Schachtel mit langen Nägeln, und an einem Haken vier Jutesäcke. Er steckte sich den Hammer in die Gesäßtasche, die vorderen stopfte er mit Nägeln voll. Dann stapfte er durch den Garten und füllte die Säcke mit Gurken, Tomaten und Kürbissen, dazu noch Orangen und Grapefruit von den Bäumen, die ganz hinten im Garten in ordentlichen Reihen standen. Was brauchte er sonst noch? Er lieh sich eine Bügelsäge und ein Beil und nahm sich fest vor, sie in der Nacht wieder zurückzubringen, so daß niemand etwas merken würde.
    Und wie kam er jetzt über die Mauer? Der Plastikeimer neben der Hintertür, an die vierzig Liter, mit einem runden grünen Deckel. Aber er war schwer. Mit irgend etwas gefüllt. Cándido nahm den Deckel ab und sah Hundetrockenfutter, sternförmige rötlichbraune Plätzchen. Sein Magen knurrte - er hatte seit fast vierundzwanzig Stunden nichts gegessen -, und er schob sich eine Handvoll Hundeplätzchen in den Mund und kaute nachdenklich darauf herum. Sie schmeckten wie Papier oder Pappe, aber wenn die Hunde das fressen konnten, dann vertrug er es auch, und er beschloß, gleich den ganzen Eimer mitzunehmen - die Besitzer des Hauses würden wahrscheinlich glauben, die Waschbären oder Stinktiere hätten sich daran vergangen. Er stellte den Eimer als Tritthilfe an den Fuß der Mauer, warf Hammer, Säge und Beil hinüber, wuchtete die schweren Säcke mit dem Gemüse einen nach dem anderen nach oben und ließ sie langsam auf der anderen Seite hinab. Dann beugte er sich noch einmal hinunter, so weit er konnte, und es gelang ihm mit Mühe, den Drahtgriff des

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