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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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gestattete.
    Delaney war verkatert und zerknirscht. Er hatte fast einen Aufstand verursacht, und dieser Gedanke entsetzte ihn. Er erinnerte sich daran, wie er mit seiner ersten Frau Louise an einer Anti-Atomkraft-Demonstration teilgenommen hatte, und wie es ihnen vorgekommen war, als sei die ganze Welt gegen sie - oder noch schlimmer: an den Tag, als sie die Stufen der Frauenklinik von White Plains hinaufgegangen waren und die wahnsinnigen Abtreibungsgegner sie angegeifert hatten wie tollwütige Hunde, die Gesichter von Haß und Wut verzerrt, so daß sie kaum noch menschlich aussahen. Delaney hatte zurückgebrüllt, war trotzig und entrüstet gewesen - schließlich war das eine rein persönliche Sache, eine zutiefst persönliche, er und Louise hatten die Entscheidung unter Qualen getroffen, sie waren eben noch nicht bereit, das war alles, wozu sollten sie ein Kind in diese Welt setzen, auf der es vor Milliarden Hungerleidern wimmelte? -, aber die Demonstranten ließen sie nicht in Ruhe, sie sahen sie nicht als individuelle Wesen. Tja, und jetzt war er einer von denen. Er war der Hasser, er war der Spießer, der Rassist, der Geiferer. Es gab keinerlei Beweis, daß diese beiden Männer irgend etwas mit dem Feuer zu tun hatten - vielleicht waren sie davor geflohen, hatten auf der Straße per Anhalter weiterkommen oder nur die schöne Gegend bewundern wollen, waren gewandert. Bei aller Ernüchterung, bei aller Scham und Zerknirschung konnte er doch nicht die bei diesem Gedanken aufflackernde Empörung unterdrücken - gewandert, dieser Scheißkerl -, andererseits fragte er sich: hätte er ebenso empfunden, wenn es zwei Weiße gewesen wären?
    Um durch den Polizeikordon zu gelangen, mußten sie ihre Papiere vorzeigen - die Straße war nur für Anwohner passierbar, um Plünderungen zu verhindern -, und Delaney fuhr, mit Jordan neben sich, hinter Kyra und ihrer Mutter her, durch das einstweilen noch unbemannte Tor in die Wohnanlage. Delaney öffnete das Fenster, und der Gestank nach versengtem Gestrüpp und Holzasche erfüllte den Wagen mit einem Geruch, der ihn an den Ofen in der Wohnung seiner Großmutter vor vielen Jahren erinnerte, oder an die Schutthalde, die Schutthalde von Croton, die unter einem Schirm aus Seemöwen vor sich hin gekokelt hatte, aber Arroyo Blanco lag im Morgenlicht unberührt und unversehrt da. Überall parkten die Nachbarn auf ihren Einfahrten, luden ihre Wagen aus, schritten über gut gewässerte Rasenflächen, um ihre Gartentore, Swimmingpools und Geräteschuppen zu überprüfen, und alle hatten sie den stillen, entrückten, halb grinsenden Ausdruck der Begnadigten im Gesicht. Das Unheil war abgewendet worden. Es war der Morgen danach.
    Als sie auf den Piñon Drive einbogen, beugte sich Jordan auf seinem Sitz vor, hing im Sicherheitsgurt wie ein Turner. Er war schmutzig und trug die grasfleckigen Shorts, das T-Shirt und die Dodgers-Mütze, die er angehabt hatte, als die Sirenen losgegangen waren, und er hatte vor Übermüdung weit aufgerissene Augen (es war nach Mitternacht gewesen, als sie endlich beschlossen hatten, sich im Holiday Inn von Woodland Hills ein Zimmer zu nehmen, das letzte, das noch frei war). Er konnte von nichts anderem reden als von Dame Edith, der Katze, die einfach ausgebüchst war, als sie am Nachmittag des Vortags die Autos beladen hatten. »Glaubst du, sie hat's geschafft, Delaney?« fragte er zum hundertstenmal.
    »Klar hat sie's geschafft«, erwiderte er mechanisch, die Antwort war zu einer Art Mantra geworden, »die kann auf sich selbst aufpassen.« Doch während er das sagte, fiel sein Blick auf die Stelle, wo sich gestern noch ein Wäldchen nach Zitronen duftender Eukalyptusbäume mit weißgefleckten Stämmen vor der Hügelflanke abgehoben hatte, und er sah nichts als eine leere Fläche voll Asche.
    Jordan sprang aus dem Wagen, noch ehe er richtig anhielt, und rief: »Miez, Miez, komm her, Dame Edith, Miez, Miez«, während Delaney einen Moment sitzen blieb und sich sammelte. Er war auf das Schlimmste vorbereitet gewesen, auf schwarzverkohlte Balken, geschmolzenes Plastik und verbogenes Metall, auf in der Luft hängende Badewannen und leergebrannte Aktenschränke, schwarz wie Bratpfannen. Solche Feuer entwickelten eine Hitze von bis zu eintausend Grad Celsius, und manchmal sogen sie rings herum den gesamten Sauerstoff auf, der sich dann weit über den Flammpunkt hinaus aufheizte, bis Wind aufkam und das Ganze explodierte, als hätte man eine Bombe abgeworfen. Die Hitze

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