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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Offenbarung, von dem Walmdach mit den geschwungenen Traufen über die Keilsteineinfassung der Fenster und Türen bis zu den massiven, verputzten Mauern, die in exakt dem blassen Zimtton der Eukalyptusstämme gestrichen und mit Weinranken in herbstlichem Blutrot überzogen waren. Ebenso das Grundstück - die Bepflanzung war ländlich, aber klug angelegt und gut gepflegt. Vor dem Haus umrundete der Fahrweg einen Teich, auf dem ein Schwanenpaar dahinzog und der mit wie zufällig gepflanzten Gruppen von Birken und Zierahorn gesäumt war. Von Privat Zu Verkaufen: die Sache mußte sie behutsam angehen, sehr behutsam. Kyra ließ ihren Wagen vorwärtsrollen, als hätte er einen eigenen Willen; dann legte sie sich in die Kurve, blieb schwungvoll vor dem Haus stehen und schaltete den Motor ab. Sie zog ihre Puderdose hervor und nahm sich eine halbe Minute Zeit für ihr Gesicht, fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar und ging dann die Treppe hinauf.
    Ein Mann um die Fünfzig in einem karierten Flanellhemd und braunen Hosen öffnete ihr; hinter ihm stand die Ehefrau, die bereits zu einem Lächeln ansetzte, neben einem Tisch aus Mahagoni in der langen hellen Eingangshalle. »Sie kommen vermutlich wegen des Hauses?« erkundigte sich der Mann.
    Kyra zögerte keinen Augenblick. Sie schätzte zwei Millionen, ohne weiteres, vielleicht auch mehr, je nach Grundstücksgröße, und noch während sie ihre Provision dafür ausrechnete - sechzigtausend - und sich fragte, wozu sie die eigentlich mit Mike Bender teilen sollte, dachte sie bereits an die benachbarten Liegenschaften und daran, wer dort wohl lebte, und ob nicht dieses Haus der Ausgangspunkt einer äußerst exklusiven Eigenheimanlage der Hochpreiskategorie werden könnte, denn dort steckte das große Geld, im Bauen - nicht im Verkaufen, sondern im Bauen von Häusern. »Ja«, sagte sie und ließ sie in den Genuß ihres Gesichts, ihrer Figur und ihres unvergleichlichen Maklerlächelns kommen, »ja, so ist es.«
    An manchen Stellen verschwand die Fährte, wenn die Fußspuren von der Wucht des Wolkenbruchs verwischt waren, der über die Hügel hereingebrochen war, während Delaney im Streifenwagen gesessen und seine Atemluft verschwendet hatte. Das machte aber nichts. Er wußte, welche Richtung seine Beute eingeschlagen hatte, und er mußte nur weiter den Straßenrand entlanggehen, bis die Spur wieder erkennbar war - und viel brauchte er nicht, den Abdruck einer Schuhspitze im Kies, die Mulde einer Ferse, die sich langsam mit schmutziggelbem Wasser füllte. Wenn er imstande gewesen war, einen Fuchs aufzuspüren, der sein Funkhalsband abgestreift hatte und dreihundert Meter durch fließendes Gewässer gelaufen war, ehe er in die unteren Äste einer Platane kletterte, dann stellte es kein Problem dar, diesen unbeholfenen Mexikaner bis in die Hölle und zurück zu verfolgen - und genau das hatte er vor, ihn aufzuspüren, und wenn es die ganze Nacht dauerte.
    Es wurde dunkel, pechschwarz, bis er beim Arroyo Blanco Drive ankam, und als er im Licht eines vorbeifahrenden Wagens sah, daß die Spur nach links in Richtung der Anlage führte, war er keineswegs überrascht. So erklärte sich vieles - die Graffiti, das Foto, die Dinge, die seit einiger Zeit überall in den Gärten fehlten: eine Plastikplatte, Hundenäpfe, Trockenfutter. Das Feuer hatte ihn aufgestöbert, und jetzt kampierte dieser besoffene Narr hier oben, sprühte seine Schmierparolen, stahl den Hunden ihr Futter, schiß in die Landschaft. Und dann durchzuckte es Delaney: Und wenn der Kerl nun auch für das Feuer verantwortlich gewesen war? Wenn der Komiker mit der Mütze womöglich tatsächlich unschuldig gewesen war? Hatte ihn die Polizei etwa deshalb nicht einbuchten können? Dieser hier hatte doch auch irgendwo da unten kampiert, oder? Vor seinem inneren Auge sah Delaney das Aufblitzen des Einkaufswagens, den Pfad, der in den Cañyon hinabführte, und den Mexikaner im Gestrüpp, zerschunden und blutend, und er konnte den Gedanken nicht abwehren, daß es wohl besser für alle gewesen wäre, wenn er sich damals einfach in die Büsche verzogen hätte, um zu sterben.
    Jetzt aber war es dunkel, und er würde eine Taschenlampe holen müssen, wenn er weitersuchen wollte - und das hatte er vor, er war fest entschlossen, weiterzusuchen, was immer geschah, bis zum bitteren Ende. Er war fast am Tor, als ein Auto kam. Durch das Fenster der Fahrerseite war hinter Regenschlieren Jim Shirleys Gesicht zu erkennen. Es regnete jetzt wieder, in

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