Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
als eine einzige große bewegliche Zielscheibe betrachteten. Aber er hatte sie gekauft. Zusammen mit Jack. Eines Nachmittags hatten sie sich nach dem Tennis in einer Sushi-Bar in Tarzana einen Drink genehmigt, das mußte jetzt sechs Monate her sein. Jack machte Delaney mit Onigaroshi on the rocks bekannt, und die Unterhaltung wandte sich der tristen und prekären Weltlage zu, wie sie in den Zeitungen geschildert wurde, als Jack auf dem Sitz herumwirbelte und sagte: »So wie ich dich kenne, bist du garantiert vollkommen nackt.«
    »Nackt? Was meinst du damit?«
    »Beim Schutz deines Heims.« Delaney sah zu, wie Jack sich ein Stück maguro in den Mund schob. »Vermutlich hättest du im Notfall höchstens einen Baseballschläger im Haus, stimmt's?«
    »Du meinst eine Pistole?«
    »Ganz genau«, sagte Jack kauend und griff dann nach seinem Glas Sake, um den Bissen hinunterzuspülen. »Diese Gesellschaft ist zerrissen und gereizt, Delaney, und ich spreche nicht nur von unseren einheimischen Habenichtsen, sondern von den Menschenfluten, die aus China und Bangladesh und Kolumbien über uns hereinbrechen, ohne Schuhe, ohne Ausbildung und ohne was zum Essen. Die wollen haben, was du hast, mein Freund, und glaubst du wirklich, sie werden bei dir anklopfen und dich höflich darum bitten? Worauf es hinausläuft, ist folgendes: Ganz egal, wie du über Waffen denkst - willst du lieber derjenige sein, der tötet, oder der, der getötet wird?«
    Jack zahlte für beide, und anschließend fuhren sie direkt nach Van Nuys zu Grantham's GunMart, und es war ganz anders, als Delaney es sich vorgestellt hatte. Keine entsprungenen Zuchthäusler oder Hell's Angels stöberten dort in Kisten mit Hohlmantelgeschossen, keine großspurigen Bärenjäger oder nervösen Buchhalter, die mit eingezogenem Schwanz in den Gängen herumrannten. Der Raum war großzügig angelegt, hell erleuchtet, die Ware lag in dekorativen Schaukästen aus, als handelte man bei Grantham's mit teurem Schmuck, Parfüm oder Rolex-Uhren. Es gab nichts Verstohlenes, niemand war verschämt, und die Klientel setzte sich, soweit Delaney sehen konnte, aus gewöhnlichen Durchschnittsbürgern zusammen, in Shorts und Sweatshirt, im Anzug oder im Kleid, sie kauften die Werkzeuge zum Töten so beiläufig, als wählten sie im Garten-Center Rattenfallen oder Maulwurfgift aus. Die Frau hinter dem Ladentisch - Samantha Grantham persönlich - sah aus wie eine pensionierte Grundschullehrerin, mit grauem Haarknoten und einer silbergefaßten Brille, die feisten Finger elegant auf dem Schaukasten drapiert. Sie verkaufte Delaney das gleiche Handfeuerwaffenmodell, das sie selbst in der Handtasche trug und mit dem sie auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums in Fallbrook nach der Spätvorstellung ein paar Möchtegernräuber abgeschreckt hatte, und dazu verkaufte sie ihm ein leichtes Bianchi-Holster aus Nylon mit Klettverschluß, das so bequem an die Innenseite seines Hosenbundes paßte wie eine zweite Tasche. Zu Hause hatte er sich geschämt und so gefühlt, als hätte er nun alle Hoffnung verloren, und dann hatte er das Ding in die Kassette in der Garage gesperrt und völlig vergessen. Bis jetzt.
    Jetzt kam er zur Eingangstür herein, auf dem Teppich bildeten sich Wasserpfützen, fischte den Schlüssel aus der Schreibtischschublade in seinem Arbeitszimmer und ging geradewegs in die Garage. Die Kassette war aus Stahl, feuerfest, so groß wie zwei Aktenstapel. Es lag Staub darauf. Er steckte den Schlüssel ins Schloß, öffnete den Deckel, und da lag er, der Revolver, den er schon ganz vergessen hatte. Er schimmerte in seiner Hand, reflektierte das Licht der nackten Glühbirne, die von der Decke baumelte, und der Regen prasselte aufs Dach. Sein Mund war trocken. Er atmete schwer. Er schob die Patronen in die geradezu genial dafür entworfenen Schlitze, jede einzelne glitt mit einem präzisen, todbringenden Klick hinein, und er wußte, daß er das Ding nie benutzen, es nie abfeuern würde, niemals - aber er würde es aus dem Holster ziehen, in all seiner tödlich blitzenden Schönheit, und es auf diesen ausländischen schwarzäugigen Schachtelteufel von Vandalen richten, bis die Polizei kam und ihn dorthin brachte, wo er hingehörte.
    Delaney steckte sich die Waffe ins Holster, schob es sich in die Hose, und dann durchfuhr ihn ein Schauder: er fröstelte. Zitterte so stark, daß er kaum die Hand zum Lichtschalter heben konnte. Er würde sich umziehen müssen, und zwar gleich - aber wo war eigentlich

Weitere Kostenlose Bücher