Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
Vom Netzwerk:
einzuschalten und an den Straßenrand zu fahren, um abzuwarten. Sie nutzte die Verzögerung, um in ihrem Stadtplan zu blättern und die Richtungsanweisungen zu überprüfen, die Delaney auf den Notizblock neben dem Telefon gekrakelt hatte. Es war kurz nach vier, sie hatte sich den Nachmittag freigenommen, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen - das Geschäft lief schlecht, es war geradezu tot, und solange sie sich erinnern konnte, hatte sie sich mehr Zeit für ihre Familie und auch für sich selbst nehmen wollen, deshalb hatte sie angeboten, Jordan vom Haus eines Freundes abzuholen. Sie kannte den Jungen nicht - es war ein Schulkamerad -, und da Delaney Jordan hingebracht hatte, kannte sie auch das Haus nicht. Ebensowenig die Straße, die sie nicht auf Anhieb fand.
    Hätte sie geraucht, hätte sie sich jetzt eine angezündet, aber sie rauchte nicht, deshalb legte sie eine Entspannungskassette ein und lauschte dem Branden der künstlichen Wellen in den Lautsprechern, während der Regen, greifbar und real, auf das Dach ihres Autos prasselte. Sie fühlte sich wohl, vor den Elementen abgeschirmt, sicher und behütet, und während sie die Karte studierte und die Kassette hörte, wurde ihr klar, daß sie es zum erstenmal, seit sie sich erinnern konnte, nicht eilig hatte, irgendwohin zu kommen. Sie hatte sich zu lange zu sehr gefordert, und wofür überhaupt? Schon bevor das Da-Ros-Haus abgebrannt war, hatte sie manchmal Tage gehabt, an denen sie einfach nicht die nötige Begeisterung aufbringen konnte, Topflappen als Werbegeschenke in Briefumschläge zu stecken oder Annoncen mit den langweiligen, ewiggleichen Adjektiven und den geistlosen Abkürzungen zu formulieren - R eizender rustik. Neubau, Monte Nido, Schulbez. Las Virgenes, 0,9 ha Grdst., Pferdehaltung mögl., 6 Schlfz./4½ Badez., gr. WZ, SwPool, günstig angeboten - oder Herrn und Frau Niemand durch die endlosen Korridore all der endlosen Häuser zu führen, für deren Kauf es den beiden sowohl an Geschmack als auch an Geld fehlte, dann ein kreatives Finanzierungsmodell für sie auszuarbeiten und während der zweimonatigen Rücktrittsfrist mit ihnen Händchen zu halten, obwohl die Sache am Ende meistens sowieso nicht klappte. Es war etwa so aufregend wie ein Gang aufs Klo. Der Abschluß eines Handels - die Nadel sauber hineinstechen und so rasch und schmerzlos wieder herausziehen, daß sie den Stich nicht einmal bemerkten -, ja, davon ging ihr Puls immer noch schneller, ebenso wenn es ihr gelang, alle Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen, besonders bei einem Objekt wie dem Da-Ros-Haus, für das man glatt zum Mörder werden könnte, aber diese Reize waren zu selten, zu dünn gesät.
    Aha, da lag das Problem - sie kannte diesen Teil von Agoura nicht so gut, wie sie sollte, und hatte Foothill Place mit Foothill Drive verwechselt. Jetzt war sie auf dem Foothill Drive - und da war sie auch schon, die Cornado Canyon Road, links oben in der Ecke des Plans. Den Namen hatte sie noch nie gehört - es mußte eine dieser neuen Straßen sein, die die grasbewachsenen Hügel kreuz und quer überzogen wie die Gleise einer Achterbahn. Alles war neu hier, ein reges, blühendes, Supermärkte hochziehendes Zeugnis des weißen Exodus, bei dem die Megalopolis sich ihres Umlandes bemächtigte. Vor zehn Jahren war das alles noch Farmland gewesen. Vor zehn Jahren war es noch nicht mal auf der Landkarte verzeichnet gewesen. Kyra war sicher, daß hier oben etliche hervorragende Objekte zu finden waren, ältere Villen, große Grundstücke, Ranches, die das Baufieber noch nicht erfaßt hatte. Die Schulen hier waren gut, die Grundstückspreise blieben stabil, ja sie stiegen sogar noch etwas - und es war eigentlich nur ein Hüpfer, ein Katzensprung von Woodland Hills, Malibu und Calabasas. Sie sollte sich hier genauer umsehen, das sollte sie wirklich.
    Der Regen ließ ebenso abrupt nach, wie er eingesetzt hatte, graue Nieselschwaden wallten die Hügel hinauf wie aufsteigende Wolken, und Kyra startete den Motor, sah über die Schulter und fuhr auf den Asphalt. Sie kam ans Ende der Straße und bog links ab, vorbei an einer Reihenhaussiedlung und hinauf in die wogenden welligen Hügel, wo die Häuser weiter voneinander entfernt standen - nichts Besonderes, aber immer, wie es schien, auf großen Grundstücken, einen halben Hektar oder mehr -, und sie sah ein halbes Dutzend blonde Kinder auf einer langen Einfahrt spielen, dann eine Schafherde vor dem Hintergrund eines grünen Hügels. Die Bäume

Weitere Kostenlose Bücher