América
weißen Nadelstichen, die im Licht der Scheinwerfer vom Asphalt abprallten. Das Fenster wurde halb heruntergekurbelt, und Jim Shirleys Haut schimmerte grün und rot in der blinkenden Weihnachtsbeleuchtung. »Was zum Teufel machst du da draußen im Regen, Delaney? Wohl auf der Jagd nach Hornkröten? Steig ein, ich nehm dich mit.«
Delaney ging zu dem Auto und stand geduckt neben dem Fenster, aber er sagte nicht: Hallo, Jim, Scheißwetter heute, wie geht's, danke, ja, oder danke, nein. »Du hast wohl nicht zufällig eine Taschenlampe dabei, die du mir leihen kannst?« fragte er, während ihm der Regen über die Wangen lief und in stetigem Tröpfeln von seiner Nasenspitze rann.
Grün und rot. Die Farben drangen in das fette, schwammige Gesicht über dem schwarzen Band des Bartes. »Leider nicht«, sagte Jim Shirley. »Hab immer eine im Wagen liegen gehabt, aber dann waren die Batterien leer, und meine Frau wollte sie auswechseln, und seitdem habe ich sie nicht wiedergesehen. Wieso? Hast du was verloren?«
»Nein, ist schon gut«, murmelte Delaney und wich bereits wieder zurück. »Danke.«
Er sah Jim Shirley nach, der durch das Tor in die Anlage fuhr, dann wandte er sich ab und entdeckte, im schaurigen Licht der rot und grün blinkenden Lämpchen, die erneute unverfrorenheit an der Mauer: die schwarzen Hieroglyphen, die ihm höhnisch entgegenstarrten, frisch wie die Farbe, die vom Regen verschmiert wurde - direkt vor der Nase des Wächters und unter den blinkenden Lichtern war es passiert, es half alles nichts. Sein Auto war kaputt, seine Hunde waren verschwunden. Er trat an die Mauer heran, legte den Finger auf die Farbe, und der Finger war naß.
Und schwarz. Schwarzverfärbt.
Dies war das Signal, jetzt reichte es, das war die Kriegserklärung, die in der Erde zitternde Lanze. Erst sein Auto, und nun das. Da fielen Delaney die Kameras ein, und er zog an dem Draht zu seinen Füßen, um das Blitzlicht auszulösen. Nur ein Apparat blitzte auf - der direkt neben ihm. Der andere war demoliert. Er konnte nicht sehen, ob Bilder geschossen worden waren - es war zu dunkel -, und er schob sich die funktionierende Kamera unter die Jacke und ging die Mauer entlang zum Tor zurück.
Als er gegen die Glaskabine klopfte, fuhr der Wächter - ein kummervoll dreinblickender junger Bursche mit langer Nase, einer krächzigen Stimme und den kaum erahnbaren Anfängen eines blonden Schnurrbarts - dermaßen zusammen, als hätte man ihm einen elektrischen Viehtreiber in den Hintern geschoben, und dann stand Delaney bei ihm in der Kabine, und der Junge sagte: »Meine Güte, Mr. Mossbacher, Sie haben mich furchtbar erschreckt - was ist denn los, gibt's ein Problem?«
Es war eng. Die Luft dampfte. Platz für einen, und sie waren zu zweit. Neben einer rotweißgestreiften Schachtel mit Brathähnchenstücken lag auf dem Kontrollpult ein Taschenbuch, auf dessen Umschlag die muskelstrotzende Gestalt eines schwertschwingenden Barbaren mit zwei barbusigen Gefährtinnen prangte. »Ist Ihr Auto kaputt?« krächzte der Junge.
Delaney zog die Kamera hervor und sah, daß sechs Bilder belichtet worden waren, sechs unbestreitbare, belastende Beweisstücke, und er fühlte sich, als wäre er gerade einen Home-run gelaufen und hätte das Spiel damit entschieden. Der Junge beobachtete ihn aus Augen wie kleine glitzernde Nieten, an denen die Last der riesigen Nase hing, und seine Haut hatte etwas Bläßliches und Fahles. Sie standen fünfzehn Zentimeter voneinander entfernt, ihre Schultern füllten die Kabine aus. »Nein«, sagte Delaney und setzte ein Grinsen auf, das er im nachhinein als zu drei Vierteln debil beurteilte, »alles in Ordnung, kein Problem, alles prima«, und dann stürzte er wieder in den Regen hinaus und legte die Strecke zu seinem Haus im Dauerlauf zurück, dachte dabei an die Fotos, an das ruinierte Auto und den an der Mauer prangenden Schlag ins Gesicht, vor allem aber dachte er an den Revolver in seiner Garage, an die 38er-Special von Smith & Wesson aus rostfreiem Stahl, die ihm Jack zum »Schutz seines Heims« aufgeschwatzt hatte.
Er hatte so ein Ding nie haben wollen. Er haßte Feuerwaffen. Noch nie war er jagen gewesen, hatte sein ganzes Leben lang kein Tier getötet, und er wollte es auch nicht. Faschistische Spießer hatten Waffen, Verbrecher, Selbstjustizler und die Schwachköpfe mit dem lockeren Abzugsfinger von der National Rifle Association, die mit automatischen Gewehren auf Rehjagd gingen und die gesamte Natur ohnehin nur
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