América
herein und beschimpfte sie in seiner harten, überheblichen Sprache, um sie dann heimzuschicken, hinauszuwerfen, seine mächtige aufgedunsene Pranke in ihren Schoß zu legen. Ihre Finger brannten. Ihre Kehle war trocken wie Asche. Sie konnte die Buddhas nicht mehr sehen, weil ihre Augen so tränten. Endlich wagte sie einen Blick über die Schulter.
Niemand beobachtete sie. Beide Türen des Zimmers waren geschlossen, und keinerlei Geräusch war zu hören. Die Tür, durch die sie hereingekommen war, führte zur Garage und zu einer Treppe ins obere Stockwerk, und die andere mußte wohl die zum Badezimmer sein, nach der langen Zeit zu urteilen, die Mary dahinter zugebracht hatte. América ihrerseits hatte zuviel Angst gehabt, um auch nur einmal aufzustehen - wer konnte schon wissen, wann der patrón sie kontrollieren würde? -, und das war fürchterlich gewesen, denn sie mußte in letzter Zeit ständig pinkeln, und trotzdem hatte sie es sich den ganzen Tag verkneifen müssen (es war das Baby, das ihre inneren Organe zusammendrückte, das wußte sie, und sie wünschte, sie könnte mit ihrer Mutter darüber sprechen, wenigstens eine Minute lang). Aber das war vorbei. Das war gestern. Sobald sie und Cándido von der Straße weg und in der Deckung des Pfades verschwunden waren, hatte sie sich in die Büsche gehockt, und schon war das Problem gelöst. Das hier war etwas anderes. Es schien gefährlich - und es war nicht ihre Schuld. Der patrón hätte ihr die Handschuhe geben sollen, er hätte daran denken müssen.
Es war elf Uhr fünfzehn auf der rosettenförmigen Uhr. Die Berge drängten sich gegen die Fenster. Ihre Fingerspitzen brannten. Die Statue vor ihr wurde größer und kleiner, sie fühlte sich schwindlig. Schließlich stand sie auf und hastete durch den Raum - sie mußte sich wenigstens die Hände abspülen, um das Brennen zu lindern, das konnte ihr niemand verbieten ...
Wie vermutet lag hinter der Tür ein Badezimmer, rosa und weiß gefliest, mit einer kleinen Duschkabine, flauschigen rosa Fußmatten und einer Tapete, auf der sich Häschen mit glänzenden Äuglein tummelten, und unwillkürlich bewunderte sie den Raum - es war genau, was sie wollte, so hübsch und effizient, so sauber. Sie ließ das kalte Wasser über die Hände laufen, und weil sie Angst hatte, die weichen weißen Handtücher schmutzig zu machen, trocknete sie sie an ihrem Kleid ab. Dabei warf sie einen Blick auf ihr Spiegelbild an der Wand, auf das völlig zerzauste, wilde Haar - sie sah aus wie eine Wahnsinnige, eine Zigeunerin, eine Bettlerin -, doch sie verdrängte das Bild sofort, hob vorsichtig den Deckel der Toilette und setzt sich rasch darauf, um auch gleich das noch zu erledigen.
Wie sie so allein in diesem rosa Badezimmer saß, mit den Häschen an der Wand, den makellosen Handtüchern und der fliederfarbenen Seife im Keramikschälchen, verspürte sie zum erstenmal, seit sie Cándido verlassen hatte und in das Auto des Dicken eingestiegen war, Ruhe und Frieden. Sie studierte die Konstruktion der Dusche, bestaunte die hübschen Fliesen und überlegte, wie angenehm es doch war, jederzeit auf Wunsch heißes Wasser zu haben, einen Klacks Shampoo und Seife, eine Zahnbürste mit Borsten statt ein paar trockenen Grashalmen. Und dann dachte sie an den dicken Mann, stellte ihn sich am ganzen Körper eingeseift vor, mit seiner lächerlich rosigen Haut und den fetten weißen Füßen. Vielleicht würde er nach China fahren, um neue Buddhas für sein Geschäft zu kaufen, und sie könnte solange hier bleiben, nachts in dem großen Zimmer schlafen und zehnmal am Tag auf die Toilette gehen, wenn sie wollte ...
An solche Sachen dachte sie, Tagträumereien - nur eine Sekunde lang -, als ein plötzliches Geräusch von oben sie in die Wirklichkeit zurückholte. Es war ein dumpfer Schlag, als schöbe jemand einen Stuhl vom Tisch zurück, gefolgt von hallenden Schritten. América sprang von der Toilette auf, wagte nicht, die Spülung zu betätigen, um sich nicht zu verraten, und in der Aufregung vergaß sie fast, weshalb sie eigentlich gekommen war. Die Schritte waren jetzt direkt über ihr, und sie erstarrte vor Schreck, konnte weder denken noch sich bewegen. Die Handschuhe, das war es. Sie riß den Schrank unter dem Waschbecken auf, durchwühlte die Schubladen daneben - eine, zwei, drei, vier -, aber da waren keine Handschuhe, und die Schritte schienen näher zu kommen, die Treppe herunter. In ihrer Hast stieß sie sich am Stuhl, voller Panik packte sie
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