América
Arme und Beine, Hüften und Brüste seiner Frau vom Licht erhellt wurden. Sie hockte am Boden und war zu beschäftigt mit dem Fleisch im Topf, mit Zwiebeln, Chilis und Reis, um sich ihrer Nacktheit bewußt zu sein, und zum erstenmal sah er, daß ihre Schwangerschaft Realität war, so offenkundig und greifbar wie Teig, der in einer Schüssel aufgeht. Sie schaute auf, bemerkte seinen Blick und griff automatisch nach ihrem Kleid. »Nein«, sagte er, »nein, das brauchst du nicht. Nicht hier, nicht mit mir.«
Ein langer, träger Blick, ihr Haar war an den Spitzen noch naß, und dann lächelte sie ihn an, legte ihre großen, eckigen, ehrlichen Zähne frei. Das Kleid blieb, wo es war.
Sie brieten das Fleisch, und ihre Mägen zogen sich immer mehr zusammen von seinem Aroma, der sich mit dem von Zwiebeln und Chilischoten vermengte und die schlichte, neutrale Luft des Cañyons verfeinerte. Vom Feuer gewärmt, saßen sie Seite an Seite im Sand und aßen Sardinen aus der Dose und dazu die Hälfte des Brotes, ein nordamerikanisches Brot, in einer Fabrik gebacken und leicht wie Luft. Sie hielt ihm die letzte Sardine hin, und er legte die Hände auf ihre Brüste und ließ sich von ihr füttern. Das Feuer knisterte, die Nacht hüllte sie ein wie eine Decke, und all seine Sinne waren hellwach. Er packte den Fisch mit den Lippen, mit den Zähnen, und leckte das goldgelbe Öl von ihren Fingern.
Schon im allerersten Morgengrauen kauerten sie wieder vor dem Topf und tunkten Tortillas in die lauwarmen Reste. Den Kaffee tranken sie kalt, dann packten sie für jeden als Mittagessen eine Packung Salzcracker und eine Scheibe Käse ein, und schließlich gingen sie nackt ins Wasser. Jetzt, am Morgen, war das Wasser eiskalt, und es kostete große Überwindung, wie reumütige Büßer hineinzuwaten, von den Vögeln verspottet und von Insekten gepeinigt. Die Kleider fühlten sich klamm und feucht an, und sie vermieden es, auf die Nacktheit des anderen zu blicken, während sie sich am kalten Ufer hastig anzogen. Dennoch wurde América von neuer Hoffnung durchströmt, als sie Cándidos vertrauter, untersetzter Gestalt den schmalen Pfad hinauf folgte: das Schlimmste lag hinter ihnen. Sie würde arbeiten, ganz egal was der dicke Mann von ihr verlangte, und auch Cándido würde Arbeit finden, und vom Lohn würden sie nur nehmen, was sie zum Essen und für das Nötigste brauchten; der Rest kam in ein Versteck unter irgendeinen Stein und in ein, zwei Monaten könnten sie dann vom Cañon in die Stadt ziehen, die sie kaum kannte. Dort wartete eine Wohnung auf sie, nichts Besonderes, einstweilen noch nicht - ein Zimmer mit Toilette und einer warmen Dusche, ein paar Bäume auf der Straße und ein Markt, wo sie sich ein Kleid, einen Lippenstift, eine Haarbürste kaufen konnte.
Cándido humpelte und mußte dreimal anhalten, um Atem zu schöpfen, aber es ging ihm besser, jeden Tag besser, und auch das war eine Antwort auf ihre Gebete. Sie warteten auf eine Lücke im Verkehr, bevor sie aus dem Gebüsch traten und mit gesenktem Kopf und hastigem Schritt auf der Bankette bergauf marschierten. Die Autos machten ihr angst. Sie kamen in langen Schlangen, immer in Schlangen - zehn, zwanzig, dreißig -, und sie rissen die Luft mit sich, rissen sie ihr aus der Lunge und ließen nichts zurück als den Abgasgestank. Quietschende Reifen. Starrende Gesichter.
Es war noch früh, sehr früh, und sie trafen als erste bei der Arbeitsvermittlung ein, sogar noch vor Candelario Pérez. Die meisten Männer kamen im Bus oder versuchten es per Anhalter, manche aus dreißig oder vierzig Kilometer Entfernung. Warum lebten sie so weit weg? Weil es Menschen vom Land waren, die die Stadt nicht mochten, das Schlangestehen an den esquinas, den Straßenecken, wo es Banden und Dreck gab und schmutzige Dinge an die Wände geschrieben waren. América verstand das nur zu gut. Sie erinnerte sich an ihre Fahrt nach Venice, an die Schrecken und das Chaos dort, und während sie sich an ihrem gewohnten Platz an dem Pfosten niederließ und die Beine an den Körper zog, blickte sie hinauf in das mächtige Geäst der Bäume und war froh, daß sie war, wo sie war.
Cándido ließ sich schwerfällig neben ihr nieder, und seine gesunde Gesichtshälfte war ihr ganz nahe. Er konnte die Hände nicht ruhig halten, hob kleine Zweige von der Erde auf, brach sie in Stücke und warf sie weg, wieder und immer wieder. Den Arm trug er nicht mehr in der Schlinge, hielt ihn allerdings etwas unbeholfen. Der Schorf
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