América
auf seiner Gesichtswunde war teilweise abgebröckelt, und darunter zeigten sich blasse Hautflecken, wie helle Farbtupfen. Er war wortkarg und mürrisch - das ganze Hochgefühl der vergangenen Nacht schien sich in stillen Zorn verwandelt zu haben, der sie an ihren Vater erinnerte, wie er sich abends über die kleine Schrift in der Zeitung gebeugt hatte, mit schmerzendem Rücken und verformten Füßen wegen der engen Schuhe, die er im Restaurant tragen mußte. Cándido hatte schlechte Laune, das sah sie, weil er wohl Angst davor hatte, wegen seines Gesichts und des schwer zu verbergenden Hinkens keine Arbeit zu kriegen - obwohl er als erster dagewesen war und sich die Seele aus dem Leib arbeiten würde. Und auch wenn er kein Wort gesagt hatte, weder eine Entschuldigung noch ein Dankeschön, wußte sie doch, daß es ihm weh tat, die Frau das Geld verdienen zu lassen. Sie plauderte ein bißchen, um ihn zu zerstreuen - Es würde ein warmer Tag werden, nicht wahr? Das Essen hatte köstlich geschmeckt, oder? Ob er sie bitte daran erinnern könne, etwas Waschpulver zu kaufen, damit sie am Abend ihre Kleidung waschen könnte? -, aber auf alles, was sie sagte, reagierte er nur mit einem Brummen.
Candelario Pérez kam zehn Minuten später, in einem zerbeulten weißen Pick-up zusammen mit sechs anderen Männern, und langsam füllte sich der Platz. Männer trafen einzeln, zu zweit oder zu dritt ein, tauchten aus dem Nirgendwo auf, mit lässigem Gang und hoffnungsvoller Miene, Männer jeden Alters, mit leeren Händen und einfacher, aber sauberer Kleidung. Einige versammelten sich etwas abseits, auf der anderen Seite der Fahrbahn bei einer der Seitenstraßen, oder standen in kleinen Grüppchen auf dem Parkplatz vor dem Postamt herum, wo sie Zusammenstöße mit den Gringos riskierten, aber die meisten schlurften über die Fläche aus Kies, Sand und Unkraut, um sich bei Candelario Pérez zu melden.
Und dann kamen die Arbeitgeber, die Weißen mit den großen bleichen Gesichtern und den seelenlosen Augen, thronten in ihren Pritschenwagen. Sie wollten zwei Mann oder drei, oder auch vier oder fünf, keiner stellte Fragen, es wurden weder Stundenlöhne noch Arbeitsbedingungen vereinbart. Ein Mann konnte heute Beton mischen und morgen Schädlingsgift versprühen - oder Pißbecken putzen, Dünger ausstreuen, Wände streichen, Unkraut jäten, Möbel schleppen, Mauern hochziehen, Fliesen legen. Man fragte nicht. Man setzte sich auf die Ladefläche und fuhr mit, wohin sie einen brachten. Und die Bosse, die einen angeheuert hatten, saßen vorn, so reglos, als wären sie aus Holz geschnitzt. América fragte sich, ob sie vielleicht irgendwie mit ihren Autos verwurzelt waren, ob ihre Mütter sie in der Fahrerkabine zur Welt gebracht hatten und sie dort hinter der Windschutzscheibe emporgesprossen waren wie ein bizarres Gewächs. Sie sah von ihnen immer nur Ellenbogen und Gesichter. Still saß sie da und wartete auf jemanden, der einen Boden gewischt oder eine Backröhre geputzt haben wollte, während die Wagen vorfuhren, die getönten Scheiben lautlos in den blitzenden Türblechen versanken und die Ellenbogen sich hinausschoben, gefolgt von spitzen Nasen und zu großen Ohren, die glanzlosen harten, berechnenden Augen immer hinter Sonnenbrillen verborgen.
Etwa zehn Pick-ups kamen an diesem Morgen zur Arbeitsvermittlung - dazu noch ein halbes Dutzend zum Parkplatz vor der Post -, und vierzig Männer fanden Arbeit. Cándido war jedesmal der erste in der Schlange, aber jedesmal rappelte er sich vergebens vom Boden hoch. Es war ein immer traurigerer Anblick, zuerst die eifrige, hoffnungsfrohe Miene, wenn er seinen hinkenden Gang zu verbergen suchte und den verletzten Arm steif herabhängen ließ, und dann das vor Wut und Verzweiflung verzerrte Gesicht, das fürchterliche Humpeln, wenn er zu ihr zurückkehrte.
Gegen halb zehn fuhr der Dicke in seinem langen, teuren Wagen auf den Platz. América war mitten in einer Erzählung über Tepoztlán, um Cándido abzulenken - sie erinnerte sich an ihre Kindheit, als einmal im September ein Gewitter über den Ort hinwegfegte und der Hagel wie Steine in die reifen Maisfelder prasselte, und alle Männer waren auf die Straßen hinausgerannt und hatten mit Pistolen und Schrotflinten in den Himmel gefeuert -, aber sie unterbrach sich mitten im Satz, als sie das Knirschen im Kies hörte und gleich danach die schmalen Flanken und die raubtierhafte Schnauze des Autos des patrón sah. Auf einmal spürte sie wieder die
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