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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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die Putzbürste.
    Die Schritte verstummten. Niemand war auf der Treppe, niemand kam zu ihr. Der Buddha auf dem Tisch musterte sie mit unergründlicher Weisheit.
    Drei Buddhas später mußte sie aufgeben. Sie hielt es keine Sekunde länger aus - niemand konnte das. Nochmals wusch sie sich die Hände, und es war wunderbar erleichternd. Dann faßte sie sich ein Herz, ging zur Tür, öffnete sie vorsichtig und sah die Treppe hinauf, wo eine größere, elegantere Tür den Weg zum oberen Stock wies. Sie zögerte einen Augenblick und starrte in die düstere Tiefe der Garage. Dort stand der Wagen, dieser Wagen, der mehr kosten mußte, als ihr ganzes Dorf zusammen im Jahr verdiente, und es gab auch einen Kühlschrank, eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner, alles mögliche. Tennisschläger. Stöcke für dieses Spiel auf dem Eis. Vogelkäfige, Fahrräder, Stühle, Betten, Tische, zwei Sägeböcke, Pappkartons jeder Form und Größe, Werkzeug, alte Kleider und Zeitungsstapel, alles auf dem Garagenboden aufgetürmt wie der Schatz eines vergessenen Potentaten.
    Mit pochendem Herzen stieg sie auf leisen Sohlen die Stufen empor. Wie sollte sie um die Handschuhe bitten? Pantomimisch? Und wenn der Dicke nun schmutzige Sachen mit ihr anstellte? Forderte sie das nicht geradezu heraus, wenn sie allein zu ihm hinaufging? Wieder zögerte sie, oben auf dem Treppenabsatz, dann zwang sie sich zu klopfen. Es klang leise und schüchtern, ein Flüstern der Fingerknöchel auf dem Holz. Niemand antwortete. Sie klopfte erneut, etwas kräftiger diesmal. Immer noch nichts. Sie wußte nicht, was sie tun sollte - ohne diese Handschuhe konnte sie unmöglich weiterarbeiten. Sie würde sich verstümmeln, das Fleisch von den Knochen ätzen ...
    Sie probierte den Türknopf.
    Die Tür war offen. »Allo?« rief sie und schob das Gesicht in den Türspalt. »¿Alguien está aquí?« Aber was sagten sie nur in diesen alten Fernsehfilmen, über die alle Mädchen im Dorf sich halb totgelacht hatten? Ju-hu, hieß es nicht so? Sie versuchte es. »Juu-huu!« rief sie, und es klang aus ihrem Mund genauso lächerlich wie bei diesen Schauspielerinnen.
    Sie wartete einen Augenblick und versuchte es nochmals. »Alio? Juu-huu?« Sie hörte Geräusche, schwere Schritte auf dem Fußboden, dann kam der Dicke herangeschlurft. Er trug eine Brille mit Drahtgestell, die sein Gesicht irgendwie einklemmte, und an den Füßen Hauspantoffeln. Seine Miene war verwirrt - oder verärgert. Die Lippen hoben sich weiß vom Nest seines Barts ab.
    »Entschuldig, bih-te«, sagte América, halb von der Tür verborgen. Noch stand sie auf dem Treppenabsatz, wagte es nicht, richtig einzutreten. Sie hielt die Hände in die Höhe. »Guantes. Bih-te. Para las manos.«
    Der patrón war kurz vor der Tür stehengeblieben. Er wirkte ratlos, als hätte er sie nie zuvor gesehen. Er sagte etwas auf englisch, eine Frage, das erkannte sie am Tonfall, aber es klang nicht freundlich, ganz und gar nicht.
    Sie versuchte es nochmals, diesmal als Pantomime, rieb die Hände aneinander und machte vor, wie sie sich ein Paar imaginärer Handschuhe überzog.
    Da verstand er. Wenigstens schien es so. Er kam mit zwei energischen Schritten auf sie zu, packte ihr rechtes Handgelenk und betrachtete ihre Hand wie etwas, in das er mit dem Schuh getreten war. Dann ließ er den Arm mit einem Fluch fallen - schleuderte ihn geradezu von sich -, kehrte ihr den Rücken und stürmte aus dem Zimmer.
    Sie wartete an der Tür, den Blick zum Boden gesenkt. Hatte er verstanden? War es ihm wichtig? Holte er ihr die Handschuhe oder scherte er sich nicht weiter darum - was kümmerte es ihn denn, ob das Mittel ihr die Haut zerfraß oder nicht? Er hatte ihr seine große Pranke aufdringlich in den Schoß gelegt, und sie war vor ihm zurückgezuckt - was sollte er mit ihr schon anfangen? Am liebsten wäre sie die Treppe wieder hinuntergerannt, hätte sich zwischen den Buddhas versteckt - oder noch besser, im Badezimmer -, aber sie blieb standhaft. Wenn es darauf ankäme, würde sie lieber verhungern als ihre Hände auch nur eine Sekunde länger in dieses Zeug tauchen, ganz bestimmt.
    Doch dann kehrten die schweren Schritte zurück, sogar die Vase auf dem Tischchen neben der Tür erzitterte, und dann kam der patrón um die Ecke, mit schnellen, aber etwas wackligen Schritten. Die Brille war verschwunden. In der Hand hielt er ein Paar gelbe Gummihandschuhe. Er streckte sie ihr ungeduldig entgegen, sagte etwas auf seine mißtönende, rumorende

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