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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Straßen weiter zur Via Mariposa geschlendert. Jack hatte ihm nicht gesagt, wohin sie gingen - »Bloß rüber zu einem Nachbarn, einem Freund von mir, den ich dir schon lange vorstellen wollte« -, und während sie so an den vertrauten, großzügigen Einfamilienhäusern im Missionsstil vorbeiflanierten, bekam der Spaziergang für Uelaney etwas Abenteuerliches. Jack und er plauderten über alles mögliche - die Spielsaison der Dodgers, Rasenpflege, die Lage in Südafrika, die Sumpfohreule, die sich das Kätzchen der Corbissons vom Dach geschnappt hatte -, und doch fragte sich Delaney die ganze Zeit, worum es eigentlich ging. Was für ein Freund? Welcher Nachbar? Obwohl ihm über die Hälfte der Leute in der Wohnanlage fremd waren, glaubte er Jacks Bekanntenkreis doch ziemlich gut zu kennen, wenigstens soweit er in Arroyo Blanco wohnte.
    Aber dann kamen sie ganz am Ende der Via Mariposa, wo hinter den Dächern der Häuser die Hügel wie ein Keil aufragten, zu einem Haus, und Delaney wurde sich bewußt, daß er keine Ahnung hatte, wer hier wohnte. Er war an dem Haus schon hundertmal vorbeigegangen, wenn er den Hund ausführte oder nur so Luft schnappte, hatte ihm aber nie viel Beachtung geschenkt: es war eben ein Haus. Das gleiche Modell wie seines, nur mit der Garage auf der anderen Seite, und statt westernweißen Putzes mit Zierkanten in Navajoweiß hatte der Besitzer auch die Farbgebung umgekehrt und sich für die helleren Zierkanten und den dunkleren Putz entschieden. Der Garten fiel nicht weiter auf, er unterschied sich in nichts von den übrigen Grundstücken der Umgebung: zwei Rasenflächen zu beiden Seiten eines Kieswegs, ein paar Sträucher, die eigentlich das trockene Klima nicht vertrugen, ein Flaggenmast mit einer schlaffen Fahne daran und einem einzelnen fetten Star, der ganz oben auf dem Knauf hockte wie ein Klumpen von etwas, das man am Ärmel abgerieben hat.
    »Wer wohnt hier?« fragte er Jack, als sie den Kiesweg betraten.
    »Dominick Flood.«
    Delaney sah ihn kurz an. »Kenne ich nicht.«
    »Solltest du aber«, sagte Jack über die Schulter, sonst nichts.
    Ein Dienstmädchen führte sie ins Haus. Es war eine kleine, sehr gepflegte junge Frau mit kaum merklichem Akzent, die ein enges schwarzes Kleid mit weißem Kragen und einer kleinen weißen Schürze trug, was Delaney ziemlich übertrieben fand: Wozu bestand jemand darauf, daß sich ein Dienstmädchen anzog wie ein Dienstmädchen, wie im Film? Was sollte das Ganze? Sie folgten ihr durch einen Flur mit Wänden in Edelrauhputz, karg und hell, vorbei an zwei Zimmern, die im Stil des Südwestens eingerichtet waren, mit Navajo-Decken an den Wänden, schweren Möbeln aus gebleichtem Kiefernholz, Kakteen und anderen Sukkulenten in riesigen Tontöpfen, Böden aus unglasierten Fliesen. Im hinteren Teil des Hauses war der Raum, den Delaney als Arbeitszimmer nutzte, als Bar eingerichtet, und acht Männer hatten sich um die Theke versammelt, jeder mit einem Drink in der Hand. Es ging ziemlich laut zu und wurde noch lauter, als Jack eintrat, denn die Männer wandten sich geschlossen um und begrüßten ihn lärmend. Delaney erkannte Jack Cherrystone, dann den dicken Mann mit Bart von der Versammlung - Jim Shirley - und noch zwei oder drei andere, auch wenn ihm ihre Namen nicht einfielen.
    »Jack!« rief jemand hinter ihnen. Delaney drehte sich um und sah den Mann, der anscheinend der Gastgeber war, den Flur entlangkommen. Flood schien um die Sechzig zu sein, braungebrannt und hart wie eine Walnuß, mit eng zusammenstehenden Augen und dichtem, falschem weißem Haar, das streng aus der Stirn nach hinten gekämmt war. Er war barfuß, trug Shorts und ein übergroßes Hawaiihemd, und es war unmöglich, das Gerät an seinem Fußknöchel zu übersehen: ein schwarzer Plastikkasten, etwa fünf mal fünf Zentimeter groß, der flach auf der Haut auflag wie eine Art High-Tech-Parasit. Er war mit einem breiten Elastikband am Bein befestigt.
    »Dom«, rief Jack in seinem Singsang, schüttelte dem älteren Mann die Hand und stellte ihm dann Delaney vor.
    »Aha, der Naturkundler«, sagte Flood ohne jede Ironie und fixierte ihn mit prüfendem Blick. »Jack hat mir schon viel von Ihnen erzählt. Und natürlich verfolge ich Ihre Kolumne in Wide Open Spaces - tolle Artikel, wirklich toll.«
    Delaney murmelte verlegen: »Ich habe gar nicht gedacht, daß irgend jemand meinen Sachen so viel Aufmerksamkeit ...«
    »Ich hab sie alle abonniert«, sprach Flood weiter, »Nature, High Sierra,

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