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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Teufel, du Trunkenbold«, sagte sie. »Borracho! Ich hab es dir schon gesagt, schon tausendmal«, damit wandte sie sich ab und verschwand in der Hütte.
    Er machte ihr keine Vorwürfe. Aber er war betrunken und wütend, und er wollte sie verletzen, wollte sich selbst verletzen, schob das schmerzende Wissen in seinem Kopf hin und her wie einen wehen Zahn, den man immer wieder im entzündeten Zahnfleisch bewegt. Wie konnte er so tun, als wüßte er nicht, was passiert war? Seit drei Wochen ließ sie sich nicht mehr von ihm anfassen, und warum nicht? Wegen des Babys, behauptete sie. Ihr war übel. Sie hatte Kopfschmerzen. Ihre Verdauung war durcheinander ... nein, Cándido, nein ... na ja, vielleicht stimmte es ja auch. Aber wenn er ihm je wieder begegnete, diesem Hurensohn mit den ekelhaften Augen und dieser beschissenen, blöden Baseballmütze ... und er suchte ihn, suchte ständig und überall nach ihm, zum Beispiel wenn er auf Als Lastwagen mitfuhr und er irgendwo jemanden am Straßenrand sah, Schultern, Baseballmütze, Bluejeans - und dann ein fremdes Gesicht ... Cándido wußte, was er tun würde, wenn er ihn fand: er würde mit der Faust gegen die Scheibe trommeln, bis der Wagen anhielt, der vago würde hinterherlaufen, um sich ein Stück mitnehmen zu lassen, als wäre es sein Glückstag, und Cándido würde den ersten Gegenstand packen, den er in die Hände bekam, den großen Vorschlaghammer zum Eintreiben von Zaunpfählen, die Machete zum Roden von Unterholz, und wenn er deshalb hundert Jahre lang ins Gefängnis mußte, wäre das ein süßer Trost verglichen mit dem hier ...
    Wenn sie ihn anlog, dann nur, um ihn zu schonen, das wußte er, und in seinem Rausch entdeckte er wieder sein Herz für sie. Siebzehn Jahre alt, und sie war es gewesen, die Arbeit gefunden hatte, als er zu krank war, sie war es gewesen, hinter der sie hergehechelt waren wie die Hunde, und sie war es auch, die von ihrem Mann gezwungen wurde, in einer Hütte aus Stöcken zu wohnen, und der sie dann auch noch eine Lügnerin nannte, eine Hure und Schlimmeres. Aber als er so dalag und sah, wie die Funken hinauf in den Himmel stoben, während der Wein in seinen Adern pulsierte, da wußte er, wie es weitergehen würde, wie es sein mußte: er wußte, daß er ihr in diese Hütte folgen und ihr mit Ohrfeigen seinen eigenen Schmerz aus dem Leib prügeln würde, und das war so pervers und so widerlich, daß er sich in diesem Augenblick nichts mehr wünschte, als einfach zu sterben.
    Allerdings fanden tote Männer auch keine Arbeit, oder?

3
    In nach Ingwer duftenden Wölkchen erhob sich der Rauch vom Grill, während Delaney die Tofu-Ćevapčići mit seiner speziellen Honig-Ingwer-Marinade beträufelte und Jordan im Garten hinter einem Ball herjagte, dicht gefolgt von Osbert. Kyra lag ausgestreckt am Pool, nachdem sie gejoggt war, ihre vierzig Längen gekrault und ihr allwöchentliches Glas Chardonnay getrunken hatte, und obwohl die Aktentasche neben ihr stand, schien sie momentan damit zufrieden, die Innenseite ihrer Augenlider zu betrachten. Es war ein Sonntag Mitte August, sieben Uhr abends, die Sonne hing reglos am Himmel wie ein japanischer Lampion. Von irgendwoher ertönte Musik, ein langsames, stimmungsvolles Klavierstück, das sich von einer gehaltenen, kaum hörbaren Note zur nächsten hangelte, und als Delaney von seinen Ćevapčići aufblickte, sah er, wie sich ein kalifornischer Fliegenschnäpper - dieser seltene, magische graue kleine Vogel - auf dem obersten Draht des Zauns niederließ. Es war einer jener erlesenen Augenblicke, in dem der wahnwitzige Strudel der Dinge auf einmal innehält, wie ein Standfoto in einem Film, und Delaney hielt daran fest, genoß den Moment, in dem der Duft des Ingwers in der Luft verrauchte, das Klavier verstummte und der Vogel ins Nichts davonschoß. Sie hatten eine ziemlich harte Zeit hinter sich - der Unfall, der Tod von Sacheverell, der Diebstahl seines Wagens -, aber jetzt war das Leben wieder auf einen angenehmeren, alltäglicheren Kurs eingeschwenkt, auf eine Normalität, die auch den kleinen Dingen wieder Gewicht verschaffte, und dafür war er dankbar.
    »Ist es schon fertig?« rief Kyra mit rauchiger, träger Stimme. »Soll ich die Soße über den Salat gießen?«
    »Ja, klar, das wäre toll«, sagte er, und er fühlte sich fröhlich, geradezu hingerissen, als er seiner Frau zusah, wie sie ihre Beine über die Armlehne schwang, die Träger ihres Badeanzugs zurechtzupfte und graziös über den

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