América
Innenhof ins Haus hinüberschlenderte.
Beim Abendessen, das Delaney direkt am Pool auf dem Glastisch servierte, goß sich Kyra ein Perrier ein und verkündete dabei mit einem selbstironischen Kichern, sie habe »auf der Shoup Avenue aufgeräumt«. Jordan spielte mit seinem Tofu herum, trennte ihn von den Pilzen, die Pilze von den Tomaten und die Tomaten von den Zwiebeln. Osbert hockte unter dem Tisch und nagte an einem Spielzeugknochen. »Was?« fragte Delaney nach. »Wie meinst du das?«
Kyra sah auf ihren Teller, als wüßte sie nicht recht weiter. »Du weißt doch noch, daß ich dir von den vielen Leuten erzählt habe, die sich an den Straßenecken versammeln - diese Tagelöhner?«
»Mexikaner«, sagte Delaney, und da war kein bißchen Zögern mehr, keinerlei Bedenken, andere Leute über ihre Nationalität zu definieren, nicht die geringste Überlagerung durch liberal-humanistische Schuldgefühle. Mexikaner, überall waren doch Mexikaner.
»Mexikaner«, bestätigte Kyra mit einem Nicken. Neben ihr stopfte sich Jordan eine Gabel voll Reis in den Mund, kaute nachdenklich einen Moment lang darauf herum und spuckte dann eine schimmernde weiße Paste auf die Gabelzinken. »Also«, fuhr Kyra fort, »damals, das war vor ein oder zwei Wochen, du weißt doch - als ich bei dem Supermarkt vorbeikam?«
Delaney nickte, erinnerte sich vage.
»Ja, jedenfalls hab ich Mike am nächsten Tag Feuer unterm Hintern gemacht, denn wenn es ein bestimmtes Limit übersteigt - ungefähr zehn, um die zehn ist noch in Ordnung, aber sobald es mehr werden, sieht man die Kunden richtig zusammenzucken, wenn man vorbeifährt. Genau wegen solcher Sachen ziehen sie ja hier heraus, und du kennst mich ja, ich tue alles, mache lieber einen Riesenumweg, um den Leuten einen guten Eindruck von der Gegend zu verschaffen, aber manchmal muß ich einfach den Boulevard nehmen, es geht nicht anders. Jedenfalls weiß ich nicht, wie es kam, aber eines Tages sehe ich da plötzlich an die fünfzig, sechzig Kerle herumstehen, den ganzen Block entlang lehnten sie an der Mauer oder saßen auf dem Bürgersteig, also sagte ich zu Mike: ›Dagegen muß was unternommen werden!‹, und der rief gleich bei Sid Wasserman an, und ich weiß zwar nicht, was Wasserman daraufhin gemacht hat, aber diese Ecke ist jetzt leer, wirklich völlig menschenleer.«
Delaney wußte nichts dazu zu sagen. Er kämpfte mit seinen Gefühlen, versuchte Theorie und Praxis innerlich zu vereinbaren. Eigentlich durften sich diese Leute jederzeit an der Straßenecke versammeln - es war ihr Grundrecht, von der Verfassung garantiert. Aber von welcher Verfassung - der mexikanischen? Besaß Mexiko überhaupt eine Verfassung? Aber das war zynisch, und er korrigierte sich sofort: Er nahm einfach an, daß es illegale Einwanderer waren, obwohl selbst Illegale gewisse verfassungsmäßige Rechte hatten - und wenn sie sich nun legal im Land befanden, wenn es US-amerikanische Staatsbürger waren, was dann?
»Also«, sagte Kyra gerade und hob ein Stück Tofu mit Austernpilzen zum Mund, »ich bin gar nicht stolz darauf oder so - ich weiß auch, wie du darüber denkst, und es stimmt ja auch, daß jedermann ein Recht auf Arbeit und einen anständigen Lebensstandard hat, aber es sind einfach zu viele, sie überrennen uns, unsere Schulen, das Wohlfahrtssystem, die Gefängnisse, und jetzt die Straßen ...«
Sie kaute nachdenklich. Trank einen Schluck Wasser. »Ach, übrigens, hab ich dir erzählt, daß Cynthia Sinclair sich verlobt hat? Im Büro!« Sie lachte, ein gurrender Triller, und legte die Gabel beiseite. »Weiß gar nicht, wie ich darauf komme - vom Gefängnis etwa?« Sie lachte nochmals, und Delaney lachte unwillkürlich mit. »Genau. Vom Gefängnis. Das war's.«
Und dann erzählte sie ihm Einzelheiten über Cynthia Sinclair und ihren Verlobten, lauter kleine Geschichten über Hintergrund, Arbeitsgewohnheiten und Ziele der beiden, doch Delaney hörte ihr nicht zu. Was sie von der Räumung dieser Straßenecke gesagt hatte, löste bei ihm eine Assoziation aus, rief ihm eine Versammlung ins Gedächtnis, auf der er zwei Tage zuvor mit Jack gewesen war. Eigentlich war es gar keine Versammlung gewesen, eher ein gesellschaftliches Beisammensein - »Ein paar von den Jungs treffen sich auf einen Drink«, wie Jack es genannt hatte.
Jack hatte ihn kurz nach sieben abgeholt, in Polohemd und Shorts - weiß, und natürlich perfekt gebügelt -, und er und Delaney waren im goldenen Schein der Abendsonne ein paar
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