American Gods
habe ich nämlich bis heute an der Wand meines Hobbyraums hängen.«
Shadow lachte, und der Alte zeigte das befriedigte Lächeln dessen, der sein Handwerk meisterlich beherrschte. Sie hielten vor einem Backsteingebäude mit großer, über eine Außentreppe zu erreichender Holzveranda, von dem goldene Festtagslichter herabhingen und einladend funkelten.
»Das ist fünf-null-zwo«, sagte Hinzelmann. »Apartment drei müsste im oberen Stockwerk sein, auf der anderen Seite, zum See hin. Ja, da wären wir, Mike.«
»Vielen Dank, Mr. Hinzelmann. Kann ich mich irgendwie an den Benzinkosten beteiligen?«
»Einfach nur Hinzelmann. Und Sie schulden mir keinen Pfennig. Wir wünschen Ihnen fröhliche Weihnachten, Tessie und ich.«
»Sind Sie sicher, dass Sie nichts von mir annehmen wollen?«
Der alte Mann kratzte sich am Kinn. »Ich will Ihnen was sagen«, sagte er. »Irgendwann nächste Woche oder so werde ich vorbeikommen und Ihnen ein paar Lose verkaufen. Für unsere Tombola. Wohltätigkeit. Aber jetzt, junger Mann, sehen Sie erst mal zu, dass Sie ins Bett kommen.«
Shadow lächelte. »Fröhliche Weihnachten, Hinzelmannn«, sagte er.
Die Hand, mit der der Alte Shadows Rechte ergriff und schüttelte, wies gerötete Fingerknöchel auf und fühlte sich hart und schwielig wie ein Eichenzweig an. »So, und achten Sie auf den Weg, wenn Sie da raufgehen, er wird ordentlich rutschig sein. Ich kann Ihre Tür von hier aus sehen, da an der Seite, sehen Sie? Ich warte hier unten im Auto, bis Sie heil in der Wohnung sind. Sie brauchen nur den Daumen hochzuhalten, wenn Sie gut angekommen sind, dann fahr ich los.«
Er ließ den Wendt im Leerlauf, bis Shadow die hölzerne Außentreppe an der Seite des Hauses unbeschadet erklommen und die Wohnungstür aufgeschlossen hatte. Die Tür schwang auf. Shadow gab das verabredete Zeichen, und der alte Mann in dem Wendt – Tessie, dachte Shadow, und die Tatsache, dass das Auto einen Namen führte, brachte ihn einmal mehr zum Lächeln –, Hinzelmann und Tessie also wendeten und machten sich über die Brücke auf den Rückweg.
Shadow schloss die Haustür. Die Wohnung war eiskalt. Sie roch nach Menschen, die weit weg in ein anderes Leben gezogen waren, und nach allem, was sie je hier gegessen und geträumt hatten. Er spürte den Thermostat auf und drehte ihn auf zwanzig Grad hoch. Er ging in die winzige Küche und zog dort die Schubladen auf. Er öffnete den avocadofarbenen Kühlschrank, aber der war leer. Keine Überraschung soweit. Immerhin roch er innen sauber und nicht etwa muffig.
An die Küche anschließend gab es ein kleines Schlafzimmer mit einer blanken Matratze und daneben ein noch winzigeres Bad, das hauptsächlich aus einer Duschkabine bestand. Ein betagter Zigarettenstummel lag in der Toilettenschüssel und hatte das Wasser braun gefärbt. Shadow spülte ihn hinunter.
In einem Schrank fand er Laken und Decken und richtete sich damit das Bett her. Dann zog er Schuhe und Jacke aus, legte die Armbanduhr ab und kroch, sonst vollständig angezogen, unter die Decken. Er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er sich einigermaßen aufgewärmt hätte.
Alles Licht war ausgeschaltet, und es herrschte weit gehend Stille, nur das Summen des Kühlschranks war zu hören und irgendwo im Haus ein Radio. Er lag im Dunkeln und überlegte, ob er sich wohl schon im Greyhound ausgeschlafen hatte, ob der Hunger, die Kälte, das ungewohnte Bett und der Wahnsinn der letzten Wochen ihn in dieser Nacht mit vereinten Kräften wach halten würden.
In der Stille hörte er etwas knallen, wie ein Schuss. Ein Ast, dachte er, oder das Eis. Da draußen fror es.
Wie lange würde er wohl auf Wednesday warten müssen? Einen Tag? Eine Woche? Egal, wie lange, ihm war klar, dass er sich in der Zwischenzeit mit irgendetwas beschäftigen musste. Er wollte wieder anfangen, sich fit zu halten, beschloss er, und auch seine Fingerfertigkeit trainieren, Münzen palmieren und so weiter, bis alles wie geschmiert lief (Übe alle deine Tricks, flüsterte im Kopf jemand mit einer Stimme, die nicht seine eigene war, alle bis auf einen; nicht den Trick, den der arme tote Mad Sweeney dir gezeigt hat, welcher gestorben ist an Unterkühlung und am Vergessensein und am Nichtgebrauchtwerden, nicht diesen Trick. O nein, den nicht).
Aber das hier war wirklich eine gute Stadt. Er spürte es.
Er dachte an seinen Traum, falls es ein Traum gewesen war, den er in jener ersten Nacht in Cairo geträumt hatte. Er dachte an Sarja
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