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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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kennen ihn. Machen Sie bitte nicht den Fehler, uns für blöd zu verkaufen. Wir sind nicht blöd.«
    »Hm. Ich lerne alle naslang neue Leute kennen. Vielleicht bin ich ihm ja mal begegnet, habe es aber nur schon wieder vergessen.«
    »Ma’am, es wäre zu Ihrem eigenen Vorteil, wenn Sie mit uns kooperieren würden.«
    »Weil Sie mich andernfalls mit Ihren Kollegen bekannt machen müssen, Mister Daumenschraube und Mister Betäubungsmittel?«
    »Ma’am, Sie tun sich mit Ihrem Verhalten keinen Gefallen.«
    »Herrje, das tut mir aber Leid. Also, gibt es sonst noch was? Ich werde mich nämlich jetzt verabschieden und die Tür zumachen, und ich schätze, Sie beide werden sich umdrehen, in Mister Auto steigen und wegfahren.«
    »Ihre unkooperative Einstellung wird vermerkt, Ma’am.«
    »Und tschüs.«
    Klack.
     

10
    I’ll tell you all my secrets
    But I lie about my past
    So send me off to bed for evermore
     – Tom Waits, ›Tango Till They’re Sore‹
     
     
    Ein ganzes Leben in Dunkelheit, umgeben von Dreck, das war’s, was Shadow in seiner ersten Nacht in Lakeside träumte. Ein Kinderleben, vor langer Zeit und weit weg, in einem Land jenseits des Ozeans, dort, wo die Sonne aufging. Aber dieses Leben enthielt keine Sonnenaufgänge, nur Trübheit am Tage und Blindheit in der Nacht.
    Niemand redete mit ihm. Er hörte menschliche Stimmen von draußen, aber er verstand die menschliche Sprache nicht besser als das Heulen der Eulen oder das Jaulen der Hunde.
    Er erinnerte sich an eine Nacht, eine halbe Ewigkeit war’s her, als eine von den großen Menschen leise hereingekommen war und ihm nicht eine hinter die Ohren gegeben oder ihn gefüttert, sondern ihn hochgehoben und an die Brust gedrückt hatte. Sie roch gut. Heiße Wassertropfen waren aus ihrem Gesicht auf seines gefallen. Er hatte Angst gehabt und in seiner Furcht laut gejammert.
    Sie legte ihn hastig wieder aufs Stroh und eilte, die Tür hinter sich verschließend, aus der Hütte.
    Er erinnerte sich an diesen Augenblick und hielt ihn in Ehren, wie er auch die Erinnerung an die Süße eines Kohlstrunks bewahrte, den sauren Geschmack von Pflaumen, das Knacken eines Apfels, die fetttriefende Köstlichkeit von gebratenem Fisch.
    Und jetzt sah er die Gesichter im Feuerschein, alle schauten zu ihm hin, während er aus der Hütte geführt wurde, es war das erste Mal und auch das einzige Mal. So also sahen die Menschen aus. In Dunkelheit aufgewachsen, hatte er niemals zuvor Gesichter gesehen. Alles war so neu. So seltsam. Das Licht der Freudenfeuer tat ihm in den Augen weh. Man zog an dem Seil, das man ihm um den Hals gebunden hatte, um ihn zu dem Platz zu führen, wo der Mann auf ihn wartete.
    Und als die erste Klinge im Schein des Feuers blitzte, welch Jubel erhob sich da aus der Menge. Und das Kind aus der Dunkelheit begann mit ihnen zu lachen, freudig und frei.
    Und dann fuhr die Klinge herab.
    Shadow schlug die Augen auf und stellte fest, dass er sich hungrig und frierend in einer Wohnung befand, deren Fenster von innen mit einer Eisschicht bedeckt waren. Sein gefrorener Atem, dachte er. Er stieg aus dem Bett, erleichtert darüber, dass er sich nicht erst noch ankleiden musste. Mit einem Fingernagel kratzte er im Vorbeigehen am Fenster und fühlte dabei, wie sich das Eis unter dem Nagel sammelte, um dann zu Wasser zu zerschmelzen.
    Er versuchte den Traum zu rekonstruieren, doch außer an Leid und Dunkelheit konnte er sich an nichts erinnern.
    Er zog die Schuhe an. Am besten würde er wohl zu Fuß ins Stadtzentrum gehen, nämlich über die Brücke und dann am nördlichen Ende des Sees entlang, falls er die Geografie der Stadt richtig im Kopf hatte. Er streifte sich die dünne Jacke über, wobei er sich an den jüngst gefassten Vorsatz, einen warmen Wintermantel zu erwerben, erinnerte, öffnete die Wohnungstür und trat hinaus auf die Holzveranda. Die Kälte raubte ihm den Atem: Er holte Luft, und sofort war jedes einzelne Haar in den Nasenlöchern steif gefroren. Die Veranda im ersten Stock verschaffte ihm einen schönen Ausblick auf den See: unregelmäßige graue Flecken, umgeben von weißer Fläche.
    Der Kälteeinbruch war da, so viel war sicher. Die Temperatur musste im zweistelligen Minusbereich liegen, weshalb es kein angenehmer Spaziergang werden würde, aber er war davon überzeugt, dass er es ohne große Probleme in die Stadt schaffen würde. Was hatte Hinzelmann gestern Nacht gesagt – ein Weg von zehn Minuten? Und Shadow war ja groß und kräftig. Er

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