American Gods
es kommt ihr so vor, als würde sie sich ständig die Beine rasieren – und dann schlafen gehen.
Sie schickt sich an, eine Seitenstraße hochzugehen, den Hang hinauf, wo sie ihr Auto geparkt hat.
Autoscheinwerfer blitzen hinter ihr auf, folgen ihr, werden langsamer. Sie wendet ihr Gesicht zur Straße und lächelt. Das Lächeln gefriert, weil sie sieht, dass es sich bei dem Auto um eine weiße Stretchlimousine handelt. Männer in Stretchlimos wollen immer in der Stretchlimo ficken, nicht in der Zurückgezogenheit von Bilquis’ Schrein. Dennoch, das könnte etwas sein. Eine Investition in die Zukunft.
Ein getöntes Fenster summt herunter, und Bilquis schreitet lächelnd auf die Limousine zu. »He, Schatzi«, sagt sie. »Suchst du was Bestimmtes?«
»Heiße Liebe«, sagt eine Stimme aus dem Fond. Sie späht ins Wageninnere, soweit das offene Fenster es zulässt – sie kennt eine Frau, die einmal in eine Stretch mit fünf betrunkenen Footballspielern gestiegen ist und ziemlich böse verschandelt wurde, aber wie es scheint, sitzt in dieser nur ein einzelner Freier, und der sieht zudem auch noch ziemlich jung aus. Vom Gefühl her kein Kandidat fürs Anbeten, aber Geld, und gutes Geld, das von seiner in ihre Hand wandert, das ist eine Energie für sich – baraka hat man es einstmals genannt –, Energie, die sie gut gebrauchen kann, und gerade heutzutage, seien wir ehrlich, hilft einem jede Kleinigkeit schon weiter.
»Wie viel?«, fragt er.
»Kommt drauf an, was du willst und wie lange du es willst«, sagt sie. »Und ob du es dir leisten kannst.« Etwas Rauchiges weht aus dem Fenster. Es riecht nach durchgeschmorten Drähten und überhitzten Schaltkreisen. Die Tür wird von innen aufgestoßen.
»Ich kann für alles zahlen, was ich will«, sagt der Freier. Sie beugt sich in den Wagen und sieht sich um. Es ist niemand drin, nur der Freier, ein teiggesichtiges Jüngelchen, das nicht mal alt genug scheint, Alkohol trinken zu dürfen. Sonst niemand, also steigt sie ein.
»Reicher Junge, wie?«, sagt sie.
»Reicher als reich«, teilt er ihr mit, indem er auf dem Ledersitz auf sie zurückt. Er bewegt sich unbeholfen. Sie lächelt ihn an.
»Hm. Das macht mich heiß, Schatzi«, sagt sie zu ihm. »Du bist wohl einer von diesen Dotcoms, von denen man immer liest, was?«
Daraufhin plustert er sich auf und hechelt wie ein Ochsenfrosch. »Yeah. Unter anderem bin ich auch ein Technikjunge.« Das Auto setzt sich in Bewegung.
»Also«, sagt er. »Sag mir, Bilquis, wie viel für einmal Blasen?«
»Wie nennst du mich?«
»Bilquis«, wiederholt er. Und dann singt er, mit einer Stimme, die nicht fürs Singen gemacht ist: »You are an immateriell girl, living in a material world.« Seine Äußerungen haben etwas Einstudiertes, als hätte er den ganzen Wortwechsel vor dem Spiegel geübt.
Sie hört auf zu lächeln, und ihr Ausdruck verändert sich, wird aufgeweckter, gespannter, schärfer. »Was willst du?«
»Hab ich doch gesagt. Heiße Liebe.«
»Ich geb dir alles, was du willst«, sagt sie. Sie muss aus dieser Limo raus. Vermutlich ist das Tempo zu hoch, als dass sie sich aus dem Auto werfen könnte, aber sie wird es trotzdem tun, falls sie nicht durch Reden aus dieser Situation herauskommt. Was immer hier abgeht, es gefällt ihr ganz und gar nicht.
»Was ich will. Ja.« Er hält inne und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich will eine saubere Welt. Ich will das Morgen besitzen. Ich will Evolution, Devolution und Revolution. Ich will unseresgleichen aus den Kaschemmen des Off-off-Betriebes auf die helle Bühne des Mainstream führen. Ihr Leute seid Underground. Das ist verkehrt. Wir müssen im Scheinwerferlicht erstrahlen. Vorn und in der Mitte. Ihr Leute habt so lange im Untergrund gehockt, dass ihr eure Augen schon gar nicht mehr gebrauchen könnt.«
»Ich heiße Ayesha«, sagt sie. »Keine Ahnung, wovon du redest. Da gibt es noch ein anderes Mädchen an meiner Ecke, die heißt Bilquis. Wir können zurück zum Sunset fahren, dann kannst du uns beide haben …«
»Oh, Bilquis«, sagt er und seufzt theatralisch. »Es gibt einfach zu viel Glauben auf der Welt. Die Leute kommen an die Grenzen dessen, was sie uns geben können. Es hat sich eine Glaubwürdigkeitslücke aufgetan.« Und dann singt er wieder mit seiner klanglosen, nasalen Stimme: »You are an analog girl, living in a digital world.« Die Limo nimmt eine Kurve zu schnell, worauf er quer über den Sitz taumelt und gegen sie stößt. Der Fahrer des
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