American Gods
Wagens ist hinter einer getönten Glasscheibe verborgen. Eine irrationale Gewissheit überfällt sie, nach der überhaupt niemand da ist, der das Auto fährt, dass die weiße Limo stattdessen wie der tolle Käfer Herbie durch Beverly Hills gondelt, aus eigenem Antrieb, selbst gesteuert.
Dann streckt der Freier die Hand aus und klopft an die getönte Scheibe.
Der Wagen bremst, und bevor er zum Stehen kommt, hat Bilquis schon die Tür aufgestoßen, und halb springt sie, halb fällt sie auf die Asphaltdecke. Sie befinden sich auf einer Hangstraße. Zur Linken geht es steil hinauf, zur Rechten gähnt der Abgrund. Sie beginnt die Straße hinunterzulaufen.
Die Limo steht da und rührt sich nicht.
Es fängt zu regnen an, ihre hohen Hacken rutschen und knicken ihr unter den Füßen weg. Sie schleudert sie von sich und rennt weiter, nass bis auf die Haut. Sie hält Ausschau nach einer Gelegenheit, von der Straße runterzukommen. Sie hat Angst. Sicher, sie verfügt über eine gewisse Macht, aber das ist Mösenmagie, Hungerzauber. Das hat sie in diesem Land die ganze Zeit über am Leben gehalten, aber für alles andere benutzt sie ihre scharfen Augen und ihren Verstand, ihre Größe und ihre Ausstrahlung. Zur Rechten verläuft in Kniehöhe ein Metallgeländer, um die Autos daran zu hindern, in den Abgrund zu stürzen; der Regen strömt die Hügelstraße hinunter und verwandelt sie in einen Fluss. Ihre Fußsohlen haben zu bluten angefangen.
Die Lichter von L. A. erstrecken sich vor ihr, eine funkelnde elektrische Landkarte eines imaginären Königreichs, ein unmittelbar auf der Erde ausgebreitetes Himmelszelt, und sie weiß, dass sie nur von der Straße runtermuss, um in Sicherheit zu sein.
Ich bin schwarz, aber gar lieblich, haucht sie in die Nacht und in den Regen hinaus. Ich bin eine Blume zu Saron und eine Rose im Tal. Erquicket mich mit Blumen und labet mich mit Äpfeln: denn ich bin krank vor Liebe.
Ein zickzackförmiger Blitz brennt grünlich über den Nachthimmel. Sie verliert den Halt, rutscht mehrere Meter über den Boden, schrammt sich Beine und Ellbogen auf; sie rappelt sich wieder auf, da sieht sie die Lichter des Autos den Hügel herunterkommen. Es fährt halsbrecherisch schnell, und sie fragt sich, ob sie sich nach rechts werfen soll, wo das Auto sie gegen den Hang quetschen kann, oder nach links, wo sie vielleicht abstürzen würde. Sie rennt über die Straße mit der Absicht, sich in die nasse Erde zu wühlen, sich abzustoßen, hochzuklettern, aber da kommt die weiße Stretchlimo auf dem glatten Asphalt angeschlingert, meine Güte, mit gut und gern hundertzwanzig nähert sie sich, vielleicht schwimmen die Reifen sogar schon, und sie gräbt die Hände in eine Hand voll Unkraut und Erde, gleich wird sie oben und damit entkommen sein, aber da bröckelt die nasse Erde, und sie fällt zurück auf die Straße.
Der Wagen trifft sie mit solcher Wucht, dass der Kühlergrill eingedrückt wird und sie wie eine Handpuppe durch die Luft fliegt. Sie landet hinter der Limo auf der Straße, und der Aufprall zertrümmert ihr das Becken, bricht ihr den Schädel. Kaltes Regenwasser läuft ihr übers Gesicht.
Sie beginnt ihren Mörder zu verfluchen, stumme Flüche sind es, da sie die Lippen nicht bewegen kann. Sie flucht seiner im Wachen und im Schlaf, im Leben und im Tod. Sie flucht seiner, wie nur jemand fluchen kann, der von väterlicher Seite her halb Dämon ist.
Eine Wagentür knallt zu. Jemand kommt auf sie zu. »Du warst ein analoges Mädchen« , ertönt die klanglose Stimme wieder, »in einer digitalen Welt.« Und dann sagt er: »Ihr Scheißmadonnas. Ihr ganzen Scheißmadonnas.« Er geht weg.
Die Wagentür knallt zu.
Die Limo setzt zurück und rollt ein erstes Mal über sie hinweg. Ihre Knochen zerbrechen unter den Rädern. Dann rollt die Limo noch einmal über sie.
Als der Wagen endlich den Hügel hinunter verschwindet, lässt er nichts weiter zurück als ein rot verschmiertes, kaum als menschliches zu erkennendes Häufchen Fleisch, aber auch das wird bald vom Regen fortgespült sein.
zweites zwischenspiel
»Hi, Samantha.«
»Mags? Bist du das?«
»Wer sonst? Leon hat mir gesagt, dass Tante Sammy angerufen hat, als ich unter der Dusche war.«
»Wir haben uns richtig nett unterhalten. Er ist so ein liebes Kind.«
»Ja, ich glaube, ich werde ihn behalten.«
Ein beiderseitiger Moment des Unbehagens, gerade mal ein leises Rauschen in der Leitung. Dann: »Sammy, was macht das Studium?«
»Die geben
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