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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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nicht mehr das blaue Kostüm, in dem sie beerdigt worden war. Stattdessen trug sie jetzt mehrere Pullover übereinander, einen langen, dunklen Rock und hohe, burgunderrote Stiefel. Shadow machte eine Bemerkung darüber.
    Laura zog den Kopf ein. Sie lächelte. »Sind das nicht tolle Stiefel? Ich habe sie in diesem riesigen Schuhgeschäft in Chicago gefunden.«
    »Und was hat dich veranlasst, von Chicago hierher zu kommen?«
    »Oh, ich bin schon seit längerem nicht mehr in Chicago, Hündchen. Ich war nach Süden unterwegs. Die Kälte hat mir zu schaffen gemacht. Man würde meinen, dass sie mir willkommen sein müsste. Aber es hat irgendwas mit dem Totsein zu tun, schätze ich. Man empfindet es nicht als kalt. Man empfindet es als eine Art von Nichts , und wenn man tot ist, dann dürfte das Einzige, vor dem man sich fürchtet, das Nichts sein. Ich wollte eigentlich nach Texas. Ich hatte vor, den Winter in Galveston zu verbringen. Ich glaube, ich habe schon als Kind immer in Galveston überwintert.«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Shadow. »Du hast nie was davon erzählt.«
    »Nein? Dann war es vielleicht jemand anders. Ich weiß nicht. Ich. erinnere mich an Seemöwen – wie wir für die Möwen Brot in die Luft geworfen haben, Hunderte davon, der ganze Himmel hat sich in ein Schwirren von Möwen verwandelt, wenn sie mit den Flügeln schlugen und sich das Brot aus der Luft schnappten.« Sie hielt inne. »Wenn ich es nicht gesehen habe, dann wohl jemand anders.«
    Ein Auto kam um die Ecke gefahren. Der Fahrer winkte ihnen zu. Shadow winkte zurück. Es fühlte sich wunderbar normal an, mit seiner Frau spazieren zu gehen.
    »Es ist schön«, sagte Laura, als läse sie seine Gedanken.
    »Ja«, sagte Shadow.
    »Als der Ruf kam, musste ich in aller Eile zurück. Ich war kaum in Texas angekommen.«
    »Ruf?«
    Sie sah ihn an. An ihrem Hals glitzerte die Goldmünze. »Es hat sich jedenfalls wie ein Ruf angehört«, sagte sie. »Ich musste sofort an dich denken. Ich wollte dich unbedingt sehen. Es war wie ein Hungergefühl.«
    »Und du wusstest, dass ich hier bin?«
    »Ja.« Sie brach ab. Sie sah finster drein und biss mit der oberen Zahnreihe sanft in die blaue Unterlippe. Mit zur Seite gelegtem Kopf sagte sie dann: »Ja. Plötzlich wusste ich es. Ich hab gedacht, dass du es bist, der mich ruft, aber du warst es gar nicht, oder?«
    »Nein.«
    »Du wolltest mich nicht sehen.«
    »So kann man es nicht sagen.« Er zögerte. »Nein. Ich wollte dich nicht sehen. Es tut so weh.«
    Der Schnee unter ihnen knirschte, und wenn das Sonnenlicht darauf fiel, glitzerten Hunderte von Diamanten.
    »Es ist bestimmt hart«, sagte Laura, »nicht lebendig zu sein.«
    »Du meinst, es ist hart für dich, tot zu sein? Hör zu, ich bin immer noch dabei herauszufinden, wie ich dich vollständig zurückholen kann. Ich glaube aber, dass ich auf dem richtigen Weg …«
    »Nein«, sagte sie. »Ich für meinen Teil bin dankbar, wie es ist. Ich hoffe natürlich trotzdem, dass du es irgendwann richtig schaffst. Ich habe viele schlimme Dinge getan …« Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich habe von dir gesprochen.«
    »Ich bin am Leben«, sagte Shadow. »Ich bin nicht tot. Schon vergessen?«
    »Du bist zwar nicht tot«, sagte sie, »aber ich bin mir auch nicht sicher, ob du lebendig bist. Nicht so richtig jedenfalls.«
    Was ist das eigentlich im eine Unterhaltung, dachte Shadow. Das kann doch nicht wahr sein.
    »Ich liebe dich«, sagte sie leidenschaftslos. »Du bist mein Hündchen. Aber wenn man richtig tot ist, sieht man manches klarer. Es ist so, als ob niemand da wäre. Und du, du bist wie so ein großes, stabiles, menschenförmiges Loch in der Welt.« Sie runzelte die Stirn. »Selbst wenn wir zusammen waren. Ich war gern mit dir zusammen. Du hast mich angebetet und hättest alles für mich getan. Aber manchmal bin ich in ein Zimmer gekommen und habe gedacht, dass niemand drin sei. Ich habe das Licht angemacht, oder ausgemacht, und plötzlich hab ich gemerkt, dass du darin gesessen hast, ganz allein, du hast nicht gelesen, nicht ferngesehen, du hast nichts gemacht, nur so dagesessen.«
    Sie umarmte ihn jetzt, als wollte sie ihren Worten den Stachel nehmen, und sagte: »Das Beste an Robbie war, dass er überhaupt jemand war. Manchmal war er ein Arsch, und er konnte auch ein schlechter Witz sein, und er stand drauf, Spiegel rundrum stehen zu haben, wenn wir miteinander geschlafen haben, damit er sich beim Bumsen zusehen konnte, aber er war lebendig,

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