American Gods
Schwester.«
Ich kenne dich nicht, dachte Shadow verzweifelt. Du hast mich nie gesehen. Wir sind uns völlig fremd. Er versuchte sich zu erinnern, wie er damals Schnee gedacht hatte, wie leicht und locker das gegangen war: letzt aber war er am Verzweifeln. Er streckte die Hand aus und sagte: »Freut mich.«
Sie blinzelte und sah ihm forschend ins Gesicht. Ein Augenblick der Verwirrung, dann blitzte das Wiedererkennen in ihren Augen auf, und sie verbog den Mundwinkel zu einem Grinsen. »Hallo«, sagte sie.
»Ich seh mal nach, was das Essen macht«, sagte Marguerite mit der angespannten Stimme derjenigen, der unweigerlich alles anbrennt, sobald sie die Küche nur für einen Augenblick unbeaufsichtigt lässt.
Sam entledigte sich ihres bauschigen Mantels und ihres Huts. »Sie sind also der melancholische, aber mysteriöse Nachbar«, sagte sie. »Wer hätte das gedacht?« Sie sprach mit gedämpfter Stimme.
»Und Sie«, sagte er, »sind Sam Mädchen. Können wir später über die Sache reden?«
»Wenn Sie versprechen, mir zu erzählen, was hier vorgeht.«
»Abgemacht.«
Leon zog an Shadows Hosenbein. »Zeigen Sie’s mir jetzt?«, fragte er und streckte ihm die Münze entgegen.
»Okay«, sagte Shadow. »Aber wenn ich es dir zeige, musst du immer dran denken, dass ein Meisterzauberer niemals jemand anders verrät, wie es gemacht wird.«
»Großes Ehrenwort«, sagte Leon ernst.
Shadow nahm die Münze in die linke Hand, dann führte er Leons rechte Hand und zeigte ihm, wie er damit die Münze scheinbar aufzunehmen hatte, während sie in Wirklichkeit in Shadows Hand verblieb. Anschließend ließ er Leon die entsprechenden Handgriffe wiederholen.
Nach mehreren Versuchen hatte der Junge die Bewegungen drauf. »So, jetzt kannst du den Trick immerhin zur Hälfte«, sagte Shadow. »Die andere Hälfte geht so: Richte deine Aufmerksamkeit immer auf die Stelle, wo die Münze sein soll . Gucke genau da hin. Wenn du dich so verhältst, als wär sie in deiner rechten Hand, wird niemand auf deine linke Hand achten, selbst wenn du noch so ungeschickt bist.«
Sam beobachtete das Ganze mit leicht zur Seite gelegtem Kopf, ohne etwas zu sagen.
»Essen ist fertig!«, rief Marguerite, die sich mit einer dampfenden Schüssel Spaghetti durch die Küchentür schob. »Leon, geh und wasch dir die Hände.«
Es gab knuspriges Knoblauchbrot, und gut gewürzte, kräftige Fleischsoße. Shadow sprach der Köchin seine Anerkennung aus.
»Altes Familienrezept«, sagte Marguerite. »Von der korsischen Seite unserer Familie.«
»Ich dachte, Sie sind indianischer Abstammung?«
»Dad ist Cherokee«, sagte Sam. »Der Vater von Mags Mutter kam aus Korsika.« Sam war die einzige Anwesende, die tatsächlich von dem Cabernet trank. »Dad hat sie verlassen, als Mags zehn war, und ist ans andere Ende der Stadt gezogen. Sechs Monate später bin ich zur Welt gekommen. Mama und Dad haben geheiratet, sobald seine Scheidung durch war. Als ich zehn war, ist er abgehauen. Ich glaube, seine Aufmerksamkeit reicht immer grade für zehn Jahre.«
»Na ja, er ist jetzt seit zehn Jahren in Oklahoma«, sagte Marguerite.
»Ja, und die Familie meiner Mutter, das waren europäische Juden«, fuhr Sam fort, »aus einer der Gegenden, die früher kommunistisch waren und wo jetzt nur noch Chaos herrscht. Ich glaube, ihr hat einfach die Vorstellung gefallen, mit einem Cherokee verheiratet zu sein. Röstbrot und gehackte Leber.« Sie nahm einen Schluck Rotwein.
»Sams Mutter ist eine richtig Wilde«, sagte Marguerite, halb bewundernd, halb missbilligend.
»Wissen Sie, wo sie jetzt ist?«, fragte Sam.
Shadow schüttelte den Kopf. »Sie ist in Australien. Sie hat im Internet einen Typen kennen gelernt, der in Hobart lebte. Als sie sich dann in natura getroffen haben, fand sie ihn doch eher eklig. Aber Tasmanien hat ihr richtig gut gefallen. Also lebt sie jetzt da unten, zusammen mit einer Frauengruppe; sie bringt denen bei, wie man Kleidungsstücke batikt und solche Sachen. Ist das nicht cool? In ihrem Alter?«
Shadow musste ihr da Recht geben und sicherte sich eine weitere Portion Soße.
Sam berichtete, wie die Urbevölkerung Tasmaniens von den Briten ausgerottet worden sei, und erzählte von der sich über die ganze Insel erstreckende Menschenkette, die die Wilden einfangen sollte, der aber nur ein alter Mann und ein kranker Junge in die Maschen ging. Sie erzählte von den Thylacinen, den Beutelwölfen, auch Tasmanische Tiger genannt, die von den um ihre Schafe
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