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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Die Unterhaltung mit Wednesday hatte Shadow irgendwie unruhig gemacht. Er erhob sich, um noch einmal einen Spaziergang zu machen, aber da es bereits dunkelte, setzte er sich wieder hin.
    Shadow nahm die Protokolle des Stadtrats von Lakeside 1872-1884 zur Hand und blätterte darin, überflog die winzige Schrift, ohne richtig zu lesen, und hielt nur gelegentlich inne, um etwas genauer zu betrachten, was ihm ins Auge gefallen war.
    Im Juli 1874, so erfuhr Shadow, zeigte sich der Stadtrat über die Zahl der in die Stadt kommenden ausländischen Wanderholzfäller besorgt. Ein Opernhaus sollte an der Ecke Third Street und Broadway gebaut werden. Es stehe zu erwarten, dass die im Zusammenhang mit dem Stauen des Mill Creek auftretenden Ärgernisse beseitigt würden, wenn erst aus dem Mühlteich ein See geworden sei. Der Rat billigte die Zahlung von siebzig Dollar an Mr. Samuel Samuels und fünfundachtzig Dollar an Mr. Heikki Salminen als Kompensation für ihr Land und die Unkosten, die ihnen aus der Verlegung ihres Wohnsitzes aus dem zu überfluteten Gebiet entstanden.
    Shadow war bislang überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dass der See künstlich angelegt worden sein könnte. Warum sollte man eine Stadt Lakeside nennen, wenn der See zunächst nur ein verdammter Mühlteich gewesen war? Er las weiter und erfuhr, dass ein Mr. Hinzelmann, ursprünglich aus Hudemühlen in Lüneburg, für das Stauprojekt zuständig war und dass der Stadtrat ihm dafür eine Summe von 370 Dollar zur Verfügung gestellt hatte, mit der Maßgabe, dass eventuelle Fehlbeträge durch Spenden auszugleichen seien. Shadow riss ein Stück Papier von der Küchenrolle ab und legte es als Lesezeichen zwischen die Seiten. Er konnte sich Hinzelmanns Vergnügen vorstellen, wenn er ihm den Hinweis auf seinen Großvater zeigte. Er fragte sich, ob dem Alten eigentlich bewusst war, dass seine Familie eine so wichtige Rolle bei der Errichtung des Sees gespielt hatte. Shadow blätterte weiter, um zu sehen, ob es noch mehr Hinweise auf das Stauprojekt gab.
    Im Frühling 1876 hatte man den See im Rahmen einer Feierstunde eingeweiht – ein Vorgeschmack auf die Hundertjahrfeiern der Stadt. Der Stadtrat sprach Mr. Hinzelmann seinen Dank aus.
    Shadow sah auf die Uhr. Es war halb sechs. Er ging ins Bad, um sich zu rasieren und zu kämmen. Er zog sich um. Irgendwie vergingen auch die letzten fünfzehn Minuten. Er schnappte sich den Wein und die Pflanze und ging dann nach nebenan.
    Die Tür öffnete sich, schon während er noch klopfte. Marguerite Olsen sah fast so nervös aus, wie er sich fühlte. Sie nahm die Weinflasche und die Topfpflanze in Empfang und bedankte sich. Der Fernseher war an, es lief das Video von Der Zauberer von Oz . Die Szenerie war noch sepiafarben, Dorothy war noch immer in Kansas und saß mit geschlossenen Augen in Professor Marvels Wagen, während der alte Betrüger vorgab, ihre Gedanken zu lesen, und der Wirbelwind, der sie aus ihrem Leben reißen sollte, befand sich erst im Anflug. Leon saß vor dem Bildschirm und spielte mit einem Spielzeugfeuerwehrwagen. Als er Shadow sah, zuckte ein freudiger Ausdruck über sein Gesicht; er stand auf und lief, wobei er vor Aufregung über die eigenen Füße stolperte, in ein anderes Zimmer, um kurz darauf mit einem Vierteldollar, den er triumphierend in der Hand hielt, wieder hervorzustürmen.
    »Achtung, Mike Ainsel!«, rief er. Dann schloss er beide Hände und gab vor, die Münze in die rechte Hand zu nehmen, die er daraufhin weit öffnete. »Ich habe sie verschwinden lassen, Mike Ainsel!«
    »Stimmt«, sagte Shadow. »Und falls deine Mutter nichts dagegen hat, werde ich dir nach dem Essen zeigen, wie man es sogar noch unauffälliger machen kann.«
    »Machen Sie’s ruhig gleich, wenn Sie wollen«, sagte Marguerite. »Wir warten noch auf Samantha. Ich habe sie losgeschickt, um Sauerrahm zu besorgen. Ich weiß gar nicht, wo sie so lange bleibt.«
    Als wäre das ein Stichwort gewesen, erklangen auf der Veranda jetzt Schritte, und gleich darauf drückte jemand die offene Tür mit der Schulter auf. Shadow erkannte sie nicht gleich wieder, aber als sie: »Ich wusste nicht, ob du die Sorte mit Kalorien wolltest oder die, die wie Tapetenkleister schmeckt, also habe ich mich für die mit Kalorien entschieden«, sagte, da wusste er, wer sie war: die Anhalterin auf dem Weg nach Cairo.
    »Das ist völlig in Ordnung«, sagte Marguerite. »Sam, das ist mein Nachbar, Mike Ainsel. Mike, das ist Samantha Black Crow, meine

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