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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Apartmenthaus, ging die Zufahrt entlang und stieg die Holztreppe hinauf zu seiner Wohnung. Die Stieglitze und Kleiber, die am Vogelhaus zugange waren, würdigten ihn kaum eines Blickes. Er ging in die Wohnung. Er wässerte die Pflanze und fragte sich, ob er den Wein in den Kühlschrank stellen sollte oder nicht.
    Bis sechs Uhr war noch eine Menge Zeit totzuschlagen.
    Einmal mehr hätte Shadow sich gewünscht, dass er in der Lage gewesen wäre, ruhig und entspannt fernzusehen. Er wollte unterhalten werden, wollte nicht nachdenken müssen, sondern einfach nur dasitzen und das Licht und die Geräusche über sich zusammenschlagen lassen. Möchtest du Lucys Titten sehen? , flüsterte etwas mit Lucystimme in seiner Erinnerung, und er schüttelte den Kopf, obwohl niemand da war, der es hätte sehen konnte.
    Er war nervös, so viel war ihm klar. Es handelte sich hier um den ersten echten gesellschaftlichen Verkehr mit anderen Leuten – normalen Leuten, keinen Knackis, keinen Göttern, Kulturhelden oder Traumfiguren – seit seiner Verhaftung, seit über drei Jahren also. Er würde Konversation machen müssen, und zwar als Mike Ainsel.
    Er sah auf die Armbanduhr. Es war halb drei. Marguerite Olsen hatte gesagt, er solle um sechs Uhr antreten. Hieß das, um Punkt sechs Uhr? Vielleicht ein bisschen früher? Ein bisschen später? Am Ende beschloss er, um fünf nach sechs an die Tür nebenan zu klopfen.
    Shadows Telefon klingelte.
    »Ja?«, sagte er.
    »So meldet man sich nicht am Telefon«, knurrte Wednesday.
    »Sobald ich einen Telefonanschluss bekomme, werde ich mich höflich melden«, sagte Shadow. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Wednesday. Es entstand eine Pause. Dann sagte er: »Etwas mit Göttern zu organisieren ist, als würde man eine Horde Katzen in geordneter Formation antreten lassen wollen. Es ist ihnen nicht von Natur aus gegeben.« Es lag etwas Trostloses, zutiefst Erschöpftes in Wednesdays Stimme, etwas, was Shadow noch nie zuvor gehört hatte.
    »Was ist los?«
    »Es ist schwer. Es ist so scheißschwer. Ich weiß nicht, ob es funktionieren wird. Wir könnten uns genauso gut die Kehle durchschneiden. Die eigene Kehle durchschneiden.«
    »So dürfen Sie nicht reden.«
    »Ja, ja. Schon gut.«
    »Na ja, wenn Sie sich wirklich die Kehle durchschneiden«, sagte Shadow in einem Versuch, Wednesday aus seiner trübsinnigen Stimmung zu holen, »dann tut es ja vielleicht wenigstens nicht weh.«
    »Es würde wehtun. Selbst für meinesgleichen tut Schmerz weh. Wenn man sich in der materiellen Welt bewegt und auf sie einwirkt, wirkt die Materie auch auf einen selbst ein. Schmerz schmerzt, genau wie Gier berauscht und Lust brennt. Wir sterben möglicherweise nicht leicht, und wir sterben weiß der Teufel nicht angenehm, aber wir können sterben. Sofern die Erinnerung an uns noch wach ist und wir geliebt werden, tritt etwas anderes, aber uns sehr Ähnliches, an unsere Stelle, und die ganze verdammte Chose beginnt von neuem. Wenn man uns aber vergisst, dann sind wir erledigt.«
    Shadow wusste nicht, was er darauf sagen sollte. »Von wo aus rufen Sie eigentlich an?«
    »Das geht Sie gar nichts an.«
    »Sind Sie etwa betrunken?«
    »Noch nicht. Ich muss nur immer an Thor denken. Den haben Sie nicht kennen gelernt. Groß gewachsener Typ, so wie Sie. Gutes Herz. Nicht der Hellste, aber er hat einem sein gottverdammtes letztes Hemd gegeben, wenn man ihn darum bat. Der hat sich umgebracht. Hat sich 1932 in Philadelphia eine Pistole in den Mund gesteckt und den Kopf weggepustet. Was für eine Art zu sterben für einen Gott!«
    »Tut mir Leid, das zu hören.«
    »Sie kümmert das einen feuchten Kehricht, mein Sohn. Er hatte viel mit Ihnen gemeinsam. Groß und dumm.« Wednesday sprach nicht weiter. Er hustete.
    »Was ist also los«, fragte Shadow wieder.
    »Sie haben sich gemeldet.«
    »Wer?«
    »Die Opposition.«
    »Und?«
    »Sie wollen über einen Waffenstillstand reden. Friedensgespräche. Leben und leben lassen und so ein Scheiß.«
    »Und was passiert jetzt?«
    »Jetzt geh ich los und trinke schlechten Kaffee mit den modernen Arschlöchern in einem Freimaurertempel in Kansas City.«
    »Okay. Holen Sie mich ab, oder soll ich Sie irgendwo treffen?«
    »Sie bleiben da und halten sich bedeckt. Halten Sie sich aus allem Ärger raus. Haben Sie verstanden?«
    »Aber …«
    Es klickte, die Leitung war tot und blieb tot. Kein Amtszeichen war zu hören, aber das war ja nichts Neues.
    Nichts, als Zeit totzuschlagen.

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