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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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großartig gemacht«, sagte Shadow. »Ich hab ihn nicht in Ihrer Hand verschwinden sehen. Keine Ahnung, wie Sie das mit dem letzten Teil gemacht haben.«
    »Ich habe ihn nicht zuvor in der Hand verschwinden lassen«, sagte sie. »Ich habe ihn einfach genommen. Und jetzt gebe ich ihn Ihnen zur sicheren Verwahrung. Hier. Geben Sie den nicht weg.«
    Sie legte ihm den Silberdollar in die rechte Hand und schloss seine Finger darum. Die Münze lag kalt in seiner Hand. Sarja Polunotschnaja beugte sich vor, drückte ihm vorsichtig beide Augen mit den Fingerspitzen zu und hauchte ihm einen Kuss auf jedes Lid.
     
    Shadow erwachte auf dem Sofa; er war vollständig angezogen. Ein schmaler Sonnenlichtstreifen strömte ins Zimmer und ließ die Staubkörnchen tanzen.
    Er stand auf und ging zum Fenster. Bei Tageslicht erschien ihm das Zimmer viel kleiner.
    Was ihm schon die ganze vergangene Nacht zu schaffen gemacht hatte, stellte sich ihm nun ganz deutlich vor Augen, während er nach draußen und die Straße zu beiden Seiten hinunterblickte: Es gab keine Feuertreppe in der Nähe dieses Fensters; keinen Balkon und keine rostige Leiter.
    In seiner Hand aber lag, fest umschlossen, ein Silberdollar mit dem Liberty-Kopf aus dem Jahr 1922, hell und glänzend wie am Tag seiner Prägung.
    »Oh, Sie sind schon wach«, sagte Wednesday, der gerade den Kopf durch die Tür steckte. »Bestens. Möchten Sie Kaffee? Wir wollen heute eine Bank ausrauben.«

ankunft in amerika
     
     
    1721
     
    Entscheidend für das Verständnis der amerikanischen Geschichte, schrieb Mr. Ibis in sein ledergebundenes Journal , ist die Einsicht, dass sie eine Erfindung ist, eine simplifizierte Kohlezeichnung für Kinder beziehungsweise diejenigen, die sich schnell langweilen. Über weite Strecken tritt sie uns ungeprüft, unreflektiert und fantasielos gegenüber, eine Repräsentation der Sache, nicht die Sache selbst. Es ist eine wunderbare Fiktion, fuhr er fort und hielt nur kurz inne, um die Feder ins Tintenfass zu tauchen und die Gedanken zu sammeln, dass Amerika von Pilgern gegründet wurde, die hierher kamen, um in Freiheit ihren Glauben bekennen zu können, und dass allein sie es waren, die sich in Nord-, Süd- und Mittelamerika ausbreiteten, sich vermehrten und das leere Land besiedelten.
    In Wahrheit jedoch waren die amerikanischen Kolonien nicht nur eine Zuflucht, sondern ebenso sehr ein Schuttabladeplatz, ein Ort des Vergessens. In jenen Tagen, da man in London für den Diebstahl von zwölf Pennies am dreibalkigen Tyburn Tree gehenkt werden konnte, wurde Amerika zu einem Symbol der Milde, des Neuanfangs. Doch waren die Umstände der Beförderung dahin dergestalt, dass es für manch einen einfacher war, den Sprung vom kahlen Baum zu tun und in der Luft zu tanzen, bis alles Tanzen vorbei war. Deportation nannte man es: fünf Jahre, zehn Jahre, lebenslänglich. Wie es das Urteil verlangte.
    Du wurdest an einen Kapitän verkauft und fuhrst auf dessen Schiff, eng gedrängt wie auf einem Sklaventransport, nach den Kolonien oder den Westindischen Inseln; vom Schiff herunter wurdest du sodann als Kontraktdiener an jemanden weiterverkauft, der dich den Preis deiner Haut durch Arbeit abgelten ließ, bis die Jahre deiner Auflage abgelaufen waren. Aber wenigstens musstest du nicht in einem englischen Gefängnis darauf warten, gehenkt zu werden (zu jener Zeit blieb man nämlich im Gefängnis, bis man entweder freigelassen, deportiert oder gehenkt wurde – keinesfalls war es so, dass man eine per Urteil festgelegte zeitlich begrenzte Strafe verbüßte), und du hattest die Möglichkeit, das Beste aus deinem neuen Leben in deiner neuen Welt zu machen. Du hattest auch die Möglichkeit, einen Schiffskapitän zu bestechen, damit er dich mit zurück nach England nahm, bevor deine Deportationszeit ablief. Dergleichen kam vor. Wenn dich aber die Behörden dabei erwischten – wenn ein alter Feind, oder auch ein alter Freund, der noch eine Rechnung zu begleichen hatte, dich sah und dich verpfiff –, dann wurdest du ohne viel Federlesen aufgeknüpft.
    Dies erinnert mich, fuhr er nach einer kurzen Pause fort in der er das im Schreibtisch eingelassene Tintenfass aus einer im Schrank aufbewahrten Flasche Umbratinte auffüllte, um dann die Feder erneut einzutauchen, an das Leben der Essie Tregowan, die aus einem ungemütlichen kleinen Dorf stammte, das auf den Meeresfelsen von Cornwall im Südwesten von England gelegen war, wo ihre Familie seit undenklichen Zeiten lebte. Ihr Vater

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