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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Schulter. Er fühlte jeden einzelnen Einschlag. Er brach über dem Steuer zusammen.
    Die letzte Explosion mündete in Dunkelheit.
    Das muss ein Traum sein , dachte Shadow in der einsamen Dunkelheit. Ich glaub, ich bin grade gestorben. Er erinnerte sich, als Kind gehört und geglaubt zu haben, dass man, wenn man im Traum starb, auch im wirklichen Leben sterben würde. Er fühlte sich aber nicht tot. Er öffnete versuchsweise die Augen.
    Eine Frau war in dem kleinen Wohnzimmer. Sie stand mit dem Rücken zu ihm vor dem Fenster. Ihm setzte für einen halben Schlag das Herz aus. »Laura?«, sagte er.
    Die vom Mondschein umrahmte Frau drehte sich um. »Entschuldigung«, sagte sie. »Ich wollte Sie nicht aufwecken.« Sie sprach mit einem weichen osteuropäischen Akzent. »Ich werde wieder gehen.«
    »Nein, ist schon gut«, sagte Shadow. »Sie haben mich nicht aufgeweckt. Ich habe geträumt.«
    »Ja«, sagte sie. »Sie haben gerufen und gestöhnt. Ich wollte Sie erst aufwecken, aber dann dachte ich, nein, lass ihn lieber.«
    Ihr Haar war blass und im fahlen Mondschein ganz farblos. Sie trug ein weißes Baumwollnachthemd mit einem hochgestellten Spitzenkragen und einem Saum, der über den Boden wischte. Shadow setzte sich auf. Er war jetzt vollständig wach. »Sie sind Sarja Polu …« Er zögerte. »Die Schwester, die vorhin noch geschlafen hat.«
    »Ich bin Sarja Polunotschnaja, ja. Und Sie werden Shadow genannt, nicht wahr? Das hat mir Sarja Wetschernjaja erzählt, als ich wach geworden bin.«
    »Ja. Wonach haben Sie da draußen Ausschau gehalten?«
    Sie sah ihn an, dann gab sie ihm ein Zeichen, zu ihr ans Fenster zu kommen. Sie wandte ihm den Rücken zu, während er sich seine Jeans überstreifte. Er ging zu ihr. Dafür, dass es so ein kleiner Raum war, schien es ein langer Weg zu sein.
    Er fand es unmöglich, ihr Alter zu bestimmen. Die Haut war faltenlos, die Augen waren dunkel, die Wimpern lang und die bis zur Taille reichenden Haare weiß. Das Mondlicht entzog den Farben alle Lebendigkeit. Sie war größer als ihre beiden Schwestern.
    Sie deutete hinauf in den Nachthimmel. »Das da habe ich angeschaut.« Sie zeigte auf den Großen Wagen. »Sehen Sie?«
    »Ursa Major«, sagte er. »Der Große Bär.«
    »So kann man es auch sehen«, sagte sie. »Allerdings sieht man es da, wo ich herkomme, nicht so. Ich will mich aufs Dach setzen. Möchten Sie mitkommen?«
    Sie schob das Fenster hoch und kletterte barfuß auf die Feuerleiter. Ein eisiger Wind pfiff durchs Fenster. Irgendetwas störte Shadow, aber er kam nicht darauf, was es war; er verharrte kurz, dann zog er sich Pullover, Socken und Schuhe an und folgte ihr nach draußen auf die rostige Feuerleiter. Sie wartete bereits auf ihn. Sein Atem dampfte in der kalten Luft. Er beobachtete, wie ihre bloßen Füße die eisigen Metallsprossen hochtappten, und stieg ihr schließlich bis aufs Dach hinterher.
    Der Wind blies in kalten Böen, plättete ihr das Nachthemd an den Körper, und Shadow stellte mit Verlegenheit fest, dass sie darunter absolut nichts anhatte.
    »Macht Ihnen die Kälte nichts aus?«, sagte er, als sie das obere Ende der Feuerleiter erreicht hatten, aber der Wind peitschte seine Worte hinweg.
    »Wie bitte?«
    Sie neigte ihr Gesicht dicht an seines. Ihr Atem war süß.
    »Ich habe gefragt, ob Sie die Kälte nicht stört?«
    Sie antwortete ihm, indem sie einen Finger hochhielt: Warten Sie! Leichtfüßig stieg sie über die Kante auf das flache Dach. Shadow kam etwas schwerfälliger hinterher und folgte ihr über das Dach in den Schatten eines Wasserturms. Eine Holzbank erwartete sie dort; sie nahm Platz und er setzte sich neben sie. Der Wasserturm diente als Windschutz, wofür Shadow recht dankbar war.
    »Nein«, sagte sie. »Die Kälte stört mich nicht. Es ist meine Zeit. Ich könnte mich in der Nacht nicht behaglicher fühlen als ein Fisch in tiefem Wasser.«
    »Sie scheinen die Nacht zu mögen«, sagte Shadow und wünschte, ihm wäre etwas Klügeres, Tiefgründigeres eingefallen.
    »Meine Schwestern haben ihre Zeiten. Sarja Utrennjaja gehört die Morgendämmerung. In der alten Heimat ist sie aufgestanden, um die Tore zu öffnen, damit unser Vater ausfahren konnte mit seiner – äh, ich habe das Wort vergessen, wie ein Auto, aber mit Pferden?«
    »Kutsche?«
    »Seine Kutsche. Unser Vater fuhr morgens damit weg. Und Sarja Wetschernjaja, sie machte ihm das Tor auf, wenn er in der Abenddämmerung zurückkehrte.«
    »Und Sie?«
    Sie hielt inne. Ihre Lippen waren

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