American Gods
war Fischer, und es ging das Gerücht, dass er zu den Strandräubern gehörte – jenen Gesellen, die bei Sturm ihre Lampen hoch auf die gefährlichen Klippen hängten und auf diese Weise Schiffe auf die Felsen lockten, um sich deren Ladung zu bemächtigen. Essies Mutter stand als Köchin in Diensten des Gutsherrn, und im Alter von zwölf Jahren begann auch Essie dort zu arbeiten, und zwar in der Spülküche. Sie war ein dürres kleines Ding mit großen braunen Augen und dunkelbraunem Haar und beileibe nicht die Fleißigste, vielmehr schlich sie sich bei jeder Gelegenheit von der Arbeit davon, um irgendwelchen Geschichten und Erzählungen zu lauschen, sobald sich nur jemand fand, der sie erzählte: Geschichten von Elfen- und Koboldwesen, den Pixies und Spriggans , von den schwarzen Hunden des Moores und den Seehundfrauen aus dem Kanal. Und obwohl der Gutsherr über derlei Dinge nur lachte, stellte das Küchenpersonal des Nachts immer eine Porzellanschüssel voll der sahnigsten Milch für die Pixies nach draußen vor die Küchentür.
Einige Jahre vergingen, und Essie war längst kein dürres kleines Ding mehr: Jetzt rundete und bauschte sich ihr Leib wie die Dünung der grünen See, ihre braunen Augen lachten und ihre kastanienbraunen Locken umflatterten sie keck und munter. Essies Augen fielen auf Bartholomew, des Gutsherrn achtzehnjährigen Sohn, der von Rugby auf Ferien gekommen war, und sie ging des Nachts zu dem Menhir am Rande des Waldes und legte etwas Brot, von dem Bartholomew gegessen und das sie in eine Locke ihres Haars gewickelt hatte, auf den Stein. Und schon am nächsten Tag kam Bartholomew und sprach mit ihr, während sie den Kamin in seinem Schlafzimmer ausfegte, und seine Augen ruhten wohlgefällig auf ihr, Augen von dem gefährlichen Blau des Himmels, wenn ein Sturm nahte.
Er habe so gefährliche Augen, waren Essie Tregowans Worte.
Bald darauf ging Bartholomew nach Oxford, und als Essies Zustand sich offenbarte, wurde sie entlassen. Das Kindchen jedoch war eine Totgeburt, und um Essies Mutter, die eine hervorragende Köchin war, eine Gunst zu erweisen, ließ der Gutsherr sich von seiner Frau dazu bewegen, das junge, wenn auch nicht mehr jungfräuliche Mädchen wieder in dessen vormaliger Stellung in der Spülküche einzusetzen.
Essies Liebe zu Bartholomew aber hatte sich in einen Hass auf dessen Familie verwandelt, und bevor ein Jahr vergangen war, erwählte sie zu ihrem neuen Verehrer einen Mann aus einem benachbarten Dorfe, der den Namen Josiah Horner führte und einen schlechten Ruf genoss. Eines Nachts, als die Familie schlief, stieg Essie aus dem Bett und entriegelte die Seitentür, um ihren Buhler einzulassen. Dieser plünderte das Haus, während dessen Bewohner den Schlaf des Gerechten schliefen.
Der Verdacht fiel augenblicklich auf ein Mitglied des Haushalts, da offensichtlich war, dass jemand die Tür geöffnet haben musste (und des Gutsherrn Frau erinnerte sich genau, sie verriegelt zu haben), und jemand musste auch gewusst haben, wo der Gutsherr sein Silbergeschirr hatte und in welcher Schublade er seine Münzen und Wechsel verwahrte. Dennoch konnte Essie, die entschieden alle Anschuldigungen bestritt, nicht überführt werden, bis Master Josiah Horner ergriffen wurde, als er bei einem Krämer in Exeter einen von des Gutsherrn Wechsel weiterverkaufen wollte. Der Gutsherr identifizierte diesen als sein Eigentum, und Horner und Essie wurden vor Gericht gestellt.
Horner wurde vom örtlichen Schwurgericht abgeurteilt und dem Henker übergeben, Essie dagegen erweckte, wohl auf Grund ihres Alters und ihres kastanienbraunen Haars, das Mitleid des Richters, und so verurteilte er sie zu sieben Jahren Deportation. Sie wurde auf ein Schiff namens Neptun verbracht, welches unter dem Befehl eines gewissen Kapitäns Clarke stand. Also fuhr Essie zu den Carolinas, und auf der Reise ging sie eine Verbindung mit besagtem Kapitän ein, den sie alsbald dazu bewegen konnte, sie wieder mit zurück nach England zu nehmen, nämlich als seine Frau, und sie in das Haus seiner Mutter in London zu führen, wo sie kein Mensch kannte. Die Rückfahrt – die menschliche Fracht war mittlerweile gegen Baumwolle und Tabak eingetauscht worden – stellte sich als eine friedliche und entschieden glückliche Zeit für den Kapitän und dessen neue Braut dar. Sie führten sich wie die Turteltäubchen auf, konnten gar nicht voneinander lassen und überhäuften sich gegenseitig mit kleinen Aufmerksamkeiten und
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