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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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voll, aber sehr blass. »Ich habe unseren Vater nie gesehen. Ich schlief.«
    »Handelt es sich da um ein gesundheitliches Leiden?«
    Sie antwortete nicht darauf. Das Achselzucken, wenn sie denn die Achseln zuckte, war nicht wahrzunehmen. »Also, Sie wollten wissen, was ich mir angeschaut habe.«
    »Den Großen Wagen.«
    Sie hob einen Arm, um in die Richtung zu zeigen, und wieder drückte der Wind ihr das Nachthemd an den Körper. Ihre Nippel und sogar die Struktur der Gänsehaut auf dem Brustwarzenhof wurden als dunkle Umrisse hinter der weißen Baumwolle kurzzeitig sichtbar. Shadow erschauerte.
    »Odins Wagen nennt man ihn. Oder auch den Großen Bären. Wo wir herkommen, da glaubt man, das ist ein, ein Ding, ein, kein Gott, aber etwas wie ein Gott, ein böses Ding, das oben in diesen Sternen festgekettet ist. Wenn es entkommt, wird es alles verschlingen. Und deshalb wird der Himmel überwacht von drei Schwestern, den ganzen Tag, die ganze Nacht. Wenn es entwischt, das Ding in den Sternen, dann ist die Welt zu Ende. Pft , einfach so.«
    »Und das glauben die Leute?«
    »Haben sie. Vor langer Zeit.«
    »Und Sie wollten gucken, ob Sie das Monster in den Sternen sehen?«
    »So ungefähr. Ja.«
    Er lächelte. Wenn die Kälte nicht wäre, dachte er, würde ich mich in einem Traum glauben. Alles fühlte sich genau wie ein Traum an.
    »Darf ich fragen, wie alt Sie sind? Ihre Schwestern wirken so viel älter.«
    Sie nickte. »Ich bin die Jüngste. Sarja Utrennjaja wurde am Morgen geboren, Sarja Wetschernjaja wurde am Abend geboren, und ich wurde um Mitternacht geboren. Ich bin die Mitternachtsschwester, Sarja Polunotschnaja. Sind Sie verheiratet?«
    »Meine Frau ist tot. Sie ist erst letzte Woche bei einem Autounfall gestorben. Gestern war die Beerdigung.«
    »Mein herzlichstes Beileid.«
    »Sie hat mich letzte Nacht besucht.« Hier in der Dunkelheit und im Mondschein war es gar nicht schwer, das auszusprechen; es war nicht annähernd so undenkbar wie bei Tageslicht.
    »Haben Sie sie gefragt, was sie wollte?«
    »Nein. Eigentlich nicht.«
    »Vielleicht hätten Sie das tun sollen. Die Toten zu fragen, das ist das Klügste, was man machen kann. Manchmal geben sie auch Auskunft. Sarja Wetschernjaja hat mir übrigens erzählt, dass Sie mit Tschernibog Dame gespielt haben.«
    »Ja, er hat sich dabei das Recht erworben, mir mit einem Vorschlaghammer den Schädel einzuschlagen.«
    »In den alten Zeiten hat man die Leute auf die Bergspitzen geführt. Nach ganz oben. Man hat ihnen die Hinterköpfe mit einem Stein zerschmettert. Für Tschernibog.«
    Shadow blickte sich um. Nein, sie waren allein auf dem Dach.
    Sarja Polunotschnaja lachte. »Dummchen, er ist nicht hier. Und Sie haben ja auch ein Spiel gewonnen. Vielleicht wird er seinen Schlag nicht führen, bevor das alles hier vorbei ist. Er hat es jedenfalls so gesagt. Und Sie werden es erahnen. Wie die Kühe, die er getötet hat. Sie wissen es immer vorher. Was für einen Sinn hätte es auch sonst?«
    »Ich habe das Gefühl«, vertraute Shadow ihr an, »als wäre ich in einer Welt, die eine ganz eigene Logik hat. Eigene Regeln. Als wenn man sich in einem Traum befindet und weiß, dass es Regeln gibt, die man nicht verletzen darf. Selbst wenn man sie nicht begreift. Ich füge mich nur einfach, verstehen Sie das?«
    »Ich weiß«, sagte sie. Sie hielt ihn an der Hand, und die ihre war eiskalt. »Man hat Ihnen bereits einmal Schutz gegeben. Die Sonne selbst haben Sie bekommen. Aber Sie haben sie längst verloren. Weggegeben. Was ich Ihnen geben kann, ist ein viel geringerer Schutz. Die Tochter, nicht der Vater. Aber helfen tut alles. Ja?« Im kalten Wind flatterte ihr das weiße Haar ums Gesicht.
    »Muss ich mit Ihnen kämpfen? Oder Dame spielen?«, fragte er.
    »Sie müssen mich nicht einmal küssen«, sagte sie zu ihm. »Nehmen Sie einfach den Mond von mir.«
    »Wie das?«
    »Nehmen Sie den Mond!«
    »Ich verstehe nicht.«
    »Passen Sie auf«, sagte Sarja Polunotschnaja. Sie hob die linke Hand und hielt sie so vor den Mond, als würde sie ihn mit Zeigefinger und Daumen greifen wollen. Dann schien sie ihn in einer geschmeidigen Bewegung an sich zu ziehen. Für einen Moment sah es tatsächlich so aus, als hätte sie den Mond vom Himmel geklaubt, doch dann sah Shadow, dass der Himmelskörper noch immer dort stand und. leuchtete; Sarja Polunotschnaja aber öffnete ihre Hand und brachte einen Silberdollar mit dem Liberty-Kopf zwischen Zeigefinger und Daumen zum Vorschein.
    »Das war ganz

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