American Gods
die Tochter ihres Arbeitgebers kam stets zuerst dran, sodass ein gesundes Kind aus ihr wurde, groß und stark, während Essies Sohn schwächlich und hinfällig blieb, weil nie genug für ihn übrig war.
Und wie die Kinder heranwuchsen, saugten sie nicht nur Essies Milch, sondern auch ihre Erzählungen in sich hinein: Geschichten von den Klopfern und den Blaukappen, die tief unten in den Minen wohnen; von dem Bucca, dem raffiniertesten Geist des Landes, viel gefährlicher als die rothaarigen, stupsnasigen Pixies, für die man den ersten Fisch aus jedem Fang auf dem Kies liegen ließ und denen man zur Zeit der Aussaat einen frisch gebackenen Brotlaib aufs Feld legte, um für eine gute Ernte zu sorgen; auch erzählte sie ihnen von den Apfelbaummännern – alte Apfelbäume, die redeten, wenn ihnen danach war, und die mit dem ersten Most aus der Ernte besänftigt werden mussten, indem man diesen zur Jahreswende auf ihre Wurzeln goss, damit sie auch im nächsten Jahr prächtig trugen. In ihrem einschmeichelnden kornischen Singsang schärfte sie ihnen ein, vor welchen Bäumen sie sich in Acht zu nehmen hätten, und sprach ihnen die alten Verse vor:
Die Ulme, die ist mürrisch,
Die Eiche hasst mit Macht,
Der Weiden-Mann aber schleicht dir nach
In tiefer, dunkler Nacht.
All diese Dinge erzählte sie ihnen, und die Kinder glaubten diesen Erzählungen, weil auch Essie daran glaubte.
Die Farm gedieh, und jede Nacht stellte Essie Tregowan für die Pixies eine Porzellanuntertasse voll Milch vor die Hintertür. Und nach acht Monaten begab es sich, dass John Richardson leise an Essies Stubentür klopfte und die Art von Gunstbezeigung begehrte, die eine Frau einem Mann gewähren kann, und Essie stellte ihm dar, wie entsetzt und verletzt sie sei, dass sie, eine arme Witwe und Dienstpflichtige, kaum besser gestellt als eine Sklavin, sich einem Mann hingeben solle, von dem sie eine solch hohe Meinung habe – und als Kontraktdienerin könne sie nicht heiraten, wie er da also auch nur erwägen könne, eine deportierte Dienstpflichtige derart zu quälen, das könne sie sich gar nicht ausdenken –, und ihre nussbraunen Augen füllten sich mit Tränen, sodass Richardson sie, ehe er sich’s versah, um Verzeihung bat, und am Ende lief es darauf hinaus, dass John Richardson in jener heißen Sommernacht im Flur niederkniete, um Essie Tregowan das Ende ihrer Dienstverpflichtung und ihr seine Hand als Ehemann anzutragen. Aber obgleich sie ihn erhörte, wollte sie keine Nacht bei ihm schlafen, solange es nicht rechtlich war, erst dann zog sie aus ihrer kleinen Kammer im Dachboden in das Elternschlafzimmer im vorderen Teil des Hauses; und wenn auch einige von Farmer Richardsons Freunden und deren Gattinnen ihm, als man sich in der Stadt begegnete, die kalte Schulter zeigten, war man meistenteils doch der Ansicht, dass die neue Mistress Richardson eine verdammt hübsche Frau sei und dass Johnnie Richardson sich fürwahr einen großen Gefallen getan habe.
Innerhalb eines Jahres wurde sie von einem weiteren Kind entbunden, wieder einem Jungen, diesmal so blond wie sein Vater und seine Stiefschwester, und nach jenem nannte sie ihn auch John.
Die drei Kinder besuchten sonntags die örtliche Kirche, um dem Wanderprediger zu lauschen, und sie gingen in die kleine Schule, um mit den Kindern der anderen Kleinfarmer das Alphabet und die Zahlen zu lernen; gleichwohl sorgte Essie dafür, dass sie auch die Geheimnisse der Pixies kannten, welches die wichtigsten Geheimnisse waren, die es gab: Das waren die rothaarigen Männchen mit Stupsnasen und Augen und Kleidern so grün wie der Fluss, lustige, schielende Männer, die einen, wenn es ihnen danach gelüstete, drehen und herumwirbeln und vom Wege abbringen konnten, es sei denn, man hatte Salz in der Tasche oder etwas Brot. Wenn die Kinder sich auf den Weg zur Schule machten, führten sie in der einen Tasche etwas Salz und in der anderen etwas Brot mit sich, die althergebrachten Symbole des Lebens und der Erde, um sicherzustellen, dass sie sicher wieder nach Hause kommen würden, und das taten sie auch immer.
Die Kinder wuchsen in den üppigen Hügeln Virginias auf, wurden groß und kräftig (wenngleich Anthony, ihr Erstgeborener, immer etwas schwächlicher, blasser war als die anderen und anfälliger für Krankheiten und Launen), die Richardsons waren glücklich, und Essie liebte ihren Mann so gut sie es vermochte. Sie waren im zehnten Jahr ihrer Ehe, als John Richardson so schlimme
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