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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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ließ die Hand ganz natürlich herabhängen, streckte sie dann, während die Münze nach vorn rutschte. Es schien ein natürlicher Platz für sie zu sein, mit dem denkbar leichtesten Druck zwischen Zeigefinger und kleinem Finger gehalten.
    »Geschickt gemacht«, sagte Wednesday.
    »Ich bin noch am Lernen«, sagte Shadow. »Was die Technik angeht, kann ich schon einiges. Das Schwerste daran ist, die Leute dazu zu kriegen, dass sie auf die falsche Hand gucken.«
    »Wirklich?«
    »Ja«, sagte Shadow. »Misdirection ist der Fachausdruck dafür.« Er ließ die mittleren Finger unter die Münze gleiten und schob sie zurück zum Handteller, wobei sie seiner Kontrolle entglitt. Die Münze fiel polternd zu Boden und hüpfte eine halbe Etage nach unten. Wednesday bückte sich und hob sie auf.
    »Sie können es sich nicht leisten, mit Geschenken achtlos umzugehen«, sagte er. »Sachen wie diese, die müssen Sie festhalten. Schmeißen Sie sie nicht durch die Gegend.« Er untersuchte die Münze, betrachtete erst die Adlerseite, dann das Gesicht der Liberty auf der Vorderseite. »Ah, Lady Liberty. Schön ist sie, nicht wahr?« Er warf Shadow die Münze zu, der sie aus der Luft fing und verschwinden ließ – er tat so, als würde er sie in die linke Hand fallen lassen und in die Tasche stecken, behielt sie aber in der rechten. Die Münze ruhte offen auf dem Handteller. Es war ein beruhigendes Gefühl.
    »Lady Liberty«, sagte Wednesday. »Wie so viele der Götter, die die Amerikaner in Ehren halten, ist sie Ausländerin. In diesem Fall Französin, obwohl die Franzosen mit Rücksicht auf amerikanische Empfindlichkeiten auf jener Statue, die sie der Stadt New York schenkten, ihren prächtigen Busen abgedeckt haben. Liberty …«, fuhr er fort, während er angesichts des gebrauchten Kondoms, das unten auf der Treppe lag, die Nase rümpfte und dieses dann angewidert an den Rand der Stufe stieß. »Da kann man drauf ausrutschen und sich den Hals brechen«, unterbrach er sich murmelnd. »Wie eine Bananenschale, nur mit schlechtem Geschmack und Ironie als Dreingabe.« Er stieß die Tür auf, und gleich standen sie im Sonnenlicht.
    »Liberty«, dröhnte Wednesday, während sie zum Wagen gingen, »ist ein Luder, das man auf eine Matratze von Leichen betten muss.«
    »Ach ja?«, sagte Shadow.
    »Ist ein Zitat«, sagte Wednesday. »Von irgendeinem Franzosen. Dafür haben sie ’ne Statue in ihrem New Yorker Hafen: ein Luder, das sich mit Vorliebe auf dem Schinderkarren hat ficken lassen. Du kannst deine Fackel so hoch halten, wie du willst, meine Liebe, trotzdem hast du Ratten in deinem Gewand, und der kalte Saft läuft dir am Bein herunter.« Er schloss den Wagen auf und dirigierte Shadow auf den Beifahrersitz.
    »Ich finde sie schön«, sagte Shadow, der die Münze aus der Nähe betrachtete. Libertys Silbergesicht erinnerte ihn ein bisschen an Sarja Polunotschnaja.
    »Das«, sagte Wednesday und fuhr los, »ist die ewige Torheit der Männer. Immer auf der Jagd nach dem süßen Fleisch, ohne zu begreifen, dass es lediglich eine hübsche Hülle für die Knochen ist. Wurmfutter. Die ganze Nacht über reibt ihr euch an Wurmfutter. Nichts für ungut.«
    Shadow erlebte zum ersten Mal, dass Wednesday derart aus sich herausging. Sein neuer Chef, befand er, hatte offenbar auch seine extrovertierten Phasen, denen dann aber langes, intensives Schweigen folgen konnte. »Sie sind also kein Amerikaner?«, fragte Shadow ihn.
    »Niemand ist Amerikaner«, sagte Wednesday. »Jedenfalls nicht ursprünglich. Das ist es, worauf ich hinauswill.« Er blickte auf seine Uhr. »Wir haben noch ein paar Stunden totzuschlagen, bevor die Banken schließen. Übrigens, das war sehr gut gestern Abend, die Sache mit Tschernibog. Ich hätte ihn zwar letzten Endes auch herumgekriegt, aber durch Ihren Einsatz wird er doch erheblich engagierter zur Sache gehen, als er es sonst getan hätte.«
    »Nur, weil er mich hinterher totschlagen darf.«
    »So weit muss es nicht unbedingt kommen. Er ist, wie Sie selbst sehr richtig festgestellt haben, ziemlich alt, und sein todbringender Schlag führt vielleicht nur dazu, dass Sie, na ja, sagen wir, fürs Leben gelähmt bleiben. Ein hoffnungsloser Invalide. Sie haben also noch allerhand, worauf Sie sich freuen können, sollte Mister Tschernibog die anstehenden Probleme lebend überstehen …«
    »Was aber durchaus in Frage steht?«, sagte Shadow zu Wednesday und nahm damit dessen Redeweise auf, ärgerte sich aber sofort über sich

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