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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Zahnschmerzen bekam, dass er darob vom Pferd fiel. Sie brachten ihn in die nächste Stadt, wo der Zahn gleich herausgezogen wurde; aber es war schon zu spät, die Blutvergiftung raffte ihn, stöhnend und mit schwarzem Gesicht, dahin, und sie begruben ihn unter seiner Lieblingsweide.
    Die Witwe Richardson hinterblieb mit der Aufgabe, die Farm zu führen, bis Richardsons beide Kinder volljährig waren: Sie regelte den Einsatz der Kontraktdiener und der Sklaven, und Jahr für Jahr brachte sie die Tabakernte ein, an Neujahr goss sie Most auf die Wurzeln der Apfelbäume, und zur Erntezeit legte sie einen frisch gebackenen Brotlaib aufs Feld, und immer stellte sie eine Untertasse voll Milch vor die Hintertür. Die Farm florierte, und die Witwe Richardson erwarb sich den Ruf einer zähen Feilscherin, freilich einer, deren Ware immer gut war und die niemals etwas Minderwertiges verkaufte, um etwa einen besseren Profit zu machen.
    Und so lief noch weitere zehn Jahre alles zur Zufriedenheit, danach aber kam ein böses Jahr: Anthony nämlich, ihr Sohn, erschlug seinen Stiefbruder Johnnie bei einem wilden Streit um die Zukunft der Farm und die Vergabe von Phyllidas Hand. Manche sagten, er habe seinen Bruder nicht töten wollen und nur in seiner Unbesonnenheit einen Schlag geführt, der zu tief ging, andere aber behaupteten das Gegenteil. Anthony floh, und Essie musste ihren jüngsten Sohn an der Seite seines Vaters begraben. Nun meinten einige, Anthony sei nach Boston geflohen, andere hielten dafür, er sei in den Süden gegangen, und seine Mutter war der Ansicht, er habe sich nach England eingeschifft, in König Georgs Armee einzutreten und gegen die aufständischen Schotten zu kämpfen. Ohne die beiden Söhne aber war die Farm ein leerer und trauriger Ort, und Phyllida wehklagte und verzehrte sich, dass man meinen musste, das Herz sei ihr zerbrochen, und ihre Stiefmutter konnte sagen oder tun, was sie wollte, das Lächeln kehrte nicht wieder auf ihre Lippen zurück.
    Indes, gebrochenes Herz oder nicht, es wurde ein Mann auf der Farm gebraucht, und so heiratete Phyllida einen gewissen Harry Soames, Schiffszimmerer von Beruf, der der Seefahrt müde geworden war und von einem Leben an Land träumte, auf einer Farm wie der in Lincolnshire, wo er aufgewachsen war. Und obgleich die Farm der Richardsons dieser Vorstellung wenig genug entsprach, fand Harry Soames genügend Ähnlichkeiten, um sich damit zufrieden zu geben. Fünf Kinder gebar Phyllida ihrem Harry, drei davon blieben am Leben.
    Die Witwe Richardson vermisste ihre Söhne, und sie vermisste auch ihren Ehemann, obgleich nicht viel mehr von ihm geblieben war als die Erinnerung an einen guten Mann, der sie anständig behandelt hatte. Phyllidas Kinder kamen zu Essie, um Geschichten von ihr zu hören, und sie erzählte ihnen vom Schwarzen Hund der Moore und vom Totenkopf mann mit den blutigen Knochen oder vom Apfelbaummann, aber das interessierte sie nicht; sie wollten nur Geschichten von Jack hören – Jack und die Bohnenstange, Jack der Riesentöter oder Jack und seine Katze und der König. Sie liebte diese Kinder, als wären sie ihr eigen Fleisch und Blut, und manchmal nannte sie sie bei den Namen der längst Verstorbenen.
    Es war im Mai, da nahm sie einen Stuhl mit nach draußen in den Küchengarten, um mit ihren alten Händen Erbsen zu lesen und sie im Sonnenschein auszuschälen, denn selbst in der blühenden Hitze von Virginia kroch ihr jetzt die Kälte in die Knochen, wie ihr auch der Reif in die Haare gekrochen war, und ein bisschen Wärme war eine feine Sache.
    Während die Witwe Richardson mit ihren alten Händen die Erbsen ausschälte, kam ihr der Gedanke, wie schön es doch wäre, noch einmal über die Moore und die salzigen Klippen ihrer Heimat Cornwall zu wandern, und sie erinnerte sich, wie sie als kleines Mädchen auf dem kiesigen Strand gesessen und gewartet hatte, dass das Schiff ihres Vaters von der grauen See zurückkehrte. Ihre Hände, blauknöchelig und unbeholfen, öffneten die Erbsenschoten, drückten die runden Erbsen in eine Tonschüssel und ließen die leeren Schoten in ihre Schürze fallen. Und dann erinnerte sie sich auf einmal an das, woran sie lange Zeit nicht mehr gedacht hatte, an ihr versunkenes Leben: wie sie Handtaschen entwendet und Seide stibitzt hatte mit ihren geschickten Fingern, und jetzt denkt sie auch an den Wärter in Newgate, der ihr erzählt, dass es noch gut und gern zwölf Wochen seien, bevor ihr Fall verhandelt werde, und dass

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