American Gods
»Die müdde anrufe. Dämine nur pä Tedefon.«
»Verstehe«, sagt Salim. Und dann lächelt er: Ein Verkäufer, so hat Fuad ihm, bevor er Maskat verließ, viele Male eingeschärft, steht in Amerika ohne sein Lächeln nackt da. »Ich werde morgen anrufen«, sagt er. Er nimmt seinen Musterkoffer, und er geht die vielen Stufen hinunter auf die Straße, wo der Eisregen sich allmählich in Schneeregen verwandelt. Salim denkt an den langen, langen Weg zum Hotel an der 46th Street, denkt an das Gewicht des Musterkoffers, dann tritt er an die Bordsteinkante und winkt jedem gelben Taxi, das sich nähert, ob das Licht auf dem Dach nun an ist oder nicht, aber alle fahren sie an ihm vorbei.
Eines der Taxis beschleunigt beim Vorbeifahren: Eines der Räder taucht in eine Schlaglochpfütze und spritzt eiskaltes Dreckwassser über Salims Hose und Mantel. Einen Moment lang erwägt er, sich vor eines der plumpen Fahrzeuge zu werfen, aber dann macht er sich klar, dass sein Schwager mehr um das Wohlergehen des Musterkoffers besorgt sein würde als um seines, Salims, und die Leidtragende wäre einzig und allein seine geliebte Schwester, Fuads Ehefrau (seinem Vater und seiner Mutter ist seine Existenz nämlich schon immer etwas peinlich gewesen, und seine etwaigen Liebesbeziehungen waren stets – und notwendigerweise – kurz und relativ anonym); zudem bezweifelt er, dass irgendeines der Autos schnell genug ist, um ihn auch tatsächlich aus dem Leben zu befördern.
Ein ramponiertes gelbes Taxi hält neben ihm, und Salim, dankbar, seinen Gedankengang abbrechen zu können, steigt ein.
Der Rücksitz ist mit grauem Klebeband geflickt, die halb offene Plexiglastrennscheibe trägt zahlreiche Hinweise, die ihm das Rauchen untersagen und ihn darüber informieren, wie viel man zahlen muss, um zu den verschiedenen Flughäfen zu gelangen. Die aufgezeichnete Stimme eines offenbar berühmten Menschen, von dem er allerdings noch nie gehört hat, erinnert ihn daran, den Sicherheitsgurt anzulegen.
»Zum Hotel Paramount, bitte«, sagt Salim.
Der Taxifahrer grunzt und fädelt sich in den Verkehr ein. Er ist unrasiert, trägt einen dicken, staubfarbenen Pullover und eine schwarze Plastiksonnenbrille. Das Wetter ist grau in grau, und es dämmert bereits: Salim fragt sich deshalb, ob der Mann vielleicht Probleme mit den Augen hat. Die Scheibenwischer verschmieren das Straßenbild zu einem Flirren aus Grautönen und schmutzigen Lichtflecken.
Aus dem Nichts auftauchend, setzt sich ein Laster vor das Taxi, und der Fahrer stößt sofort Verwünschungen aus, beim Barte des Propheten.
Salim späht nach dem Namen auf dem Armaturenbrett, aber er kann ihn von seinem Platz aus nicht entziffern. »Seit wann fahren Sie Taxi, mein Freund?«, fragt er den Mann in seiner Muttersprache.
»Zehn Jahre«, antwortet der Mann in derselben Sprache. »Wo kommen Sie her?«
»Maskat«, sagt Salim. »In Oman.«
»Aus Oman. Ich war mal in Oman. Ist aber lange her. Haben Sie mal von der Stadt Ubar gehört?«
»Aber ja«, sagt Salim. »Die versunkene Säulenstadt. Man hat sie vor fünf, zehn Jahren, ich weiß nicht mehr genau, in der Wüste gefunden. Haben Sie etwa zu der Expedition gehört, die sie ausgegraben hat?«
»So ungefähr. Es war eine gute Stadt«, sagt der Taxifahrer. »An den meisten Tagen haben drei-, vielleicht viertausend Menschen ihr Nachtlager dort aufgeschlagen, alle Reisenden haben Station in Ubar gemacht; die Musik spielte, der Wein floss wie Wasser, und das Wasser floss ebenso, was auch der Grund war, dass die Stadt überhaupt existierte.«
»Das habe ich auch gehört«, sagt Salim. »Und sie ging unter vor, was – tausend Jahren? Zweitausend?«
Der Taxifahrer sagt nichts. Sie müssen an einer roten Ampel halten. Es wird wieder grün, aber der Fahrer rührt sich nicht, trotz des sofort einsetzenden misstönenden Gehupes hinter ihnen. Zögerlich schiebt Salim eine Hand durch die Lücke im Plexiglas und berührt den Fahrer an der Schulter. Der Mann lässt den Kopf ruckartig hochfahren, stellt den Fuß aufs Gaspedal, und sie schießen über die Kreuzung hinweg.
»Scheißepissescheißescheiße«, sagt er auf Englisch.
»Sie müssen sehr müde sein, mein Freund«, sagt Salim.
»Ich fahre dieses allahvergessene Taxi seit dreißig Stunden«, sagt der Fahrer. »Es ist einfach zu viel. Vorher hab ich fünf Stunden geschlafen, und davor bin ich vierzehn Stunden gefahren. Wir sind so kurz vor Weihnachten knapp an Leuten.«
»Ich hoffe, Sie haben wenigstens
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