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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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wie ein Sultan in Amerika? Salim las das Fax auf seinem Zimmer (das immer zu heiß und stickig war, weshalb er letzte Nacht ein Fenster geöffnet hat, jetzt aber ist es zu kalt) und saß eine Weile einfach da, das Gesicht in einem Ausdruck völligen Elends eingefroren.
    Schließlich geht Salim nach Downtown, hält seinen Musterkoffer fest, als enthielte er Diamanten und Rubine, trottet Straßenzug für Straßenzug durch die Kälte, bis er, Ecke Broadway und 19th Street, zu einem gedrungenen Gebäude kommt, in dessen Erdgeschoss sich ein Deli befindet. Er steigt die Treppe hinauf in den vierten Stock zum Büro von Panglobal Imports.
    Das Büro ist schmuddelig, aber er weiß, dass Panglobal fast die Hälfte der aus dem Fernen Osten in die USA importierten Deko-Souvenirs bewegt. Eine richtige Order, eine bedeutende Bestellung von Panglobal könnte Salims Mission retten, könnte den Unterschied zwischen Scheitern und Erfolg ausmachen, und so sitzt Salim auf einem unbequemen Holzstuhl in irgendeinem Vorzimmer, den Musterkoffer auf seinem Schoß balancierend, und starrt die Frau mittleren Alters an, deren rot gefärbte Haare einen Tick zu hell geraten sind und die schniefend hinter ihrem Schreibtisch sitzt, während sie ein Kleenex nach dem anderen verbraucht. Wenn sie sich die Nase ausgeschnaubt hat, wischt sie sie ab und wirft das Kleenex in den Papierkorb.
    Salim ist um elf Uhr dreißig eingetroffen, eine halbe Stunde vor dem verabredeten Termin. Jetzt sitzt er da, erhitzt und zitternd, und er fragt sich, ob sich da bei ihm ein Fieber anbahnt. Die Zeit verstreicht ganz furchtbar langsam.
    Salim sieht auf seine Armbanduhr. Dann räuspert er sich.
    Die Frau hinter dem Schreibtisch blickt ihn feindselig an. »Ja?«, sagt sie.
    »Es ist fünf nach halb zwölf«, sagt Salim.
    Die Frau wirft einen Blick auf die Wanduhr und sagt noch einmal: »Ja.« Und dann: »Stimmt.« Es klingt wie stibbd.
    »Ich hatte einen Termin für elf Uhr«, sagt Salim mit beschwichtigendem Lächeln.
    »Mister Blandig weiß, dass Sie hier sind«, teilt sie ihm tadelnd mit. (»Bidter Bladdig beid, dad Die hier dind.«)
    Salim greift sich eine alte Ausgabe der New York Post vom Tisch. Er spricht zwar ganz gut Englisch, hat aber Schwierigkeiten mit dem Lesen, und so tastet er sich durch die Berichte wie jemand, der ein Kreuzworträtsel zu lösen versucht. Er wartet, ein rundlicher junger Mann mit den Augen eines geprügelten Hundes, die zwischen seiner Armbanduhr, der Zeitung und der Wanduhr hin und her schweifen.
    Um zwölf Uhr dreißig kommen mehrere Männer aus dem Chefbüro. Sie unterhalten sich lautstark, plappern auf Amerikanisch aufeinander ein. Einer davon, ein großer Mann mit Bauch, hat eine unangezündete Zigarre im Mund. Er wirft Salim einen flüchtigen Blick zu. Er sagt der Frau hinter dem Schreibtisch, sie solle es mal mit Zitronensaft und Zink probieren, seine Schwester schwöre geradezu auf Zink und Vitamin C. Sie verspricht es und reicht ihm mehrere Umschläge. Er steckt sie ein, und dann geht er, zusammen mit den anderen Männern, in den Flur hinaus. Langsam verklingt das Gelächter im Treppenhaus.
    Es ist ein Uhr. Die Frau hinter dem Schreibtisch öffnet eine Schublade und holt eine braune Papiertüte hervor, der sie mehrere Sandwiches, einen Apfel und ein Milky Way entnimmt. Zuletzt kommt noch eine kleine Plastikflasche mit gepresstem Orangensaft zum Vorschein.
    »Entschuldigen Sie«, sagt Salim, »aber könnten Sie vielleicht Mister Blanding anrufen und ihm sagen, dass ich immer noch warte?«
    Sie sieht ihn an, als wäre sie überrascht, dass er immer noch da ist, als hätten sie nicht die letzten zweieinhalb Stunden in zwei Meter Entfernung voneinander dagesessen. »Er ist zum Mittagessen«, sagt sie. Er id zub Middagedde.
    Salim weiß, tief unten im Bauch spürt er es, dass Blanding der Mann mit der unangezündeten Zigarre war. »Wann wird er zurück sein?«
    Sie zuckt die Achseln und beißt von ihrem Sandwich ab. »Er hat den ganzen Nachmittag über Termine«, sagt sie. Er had de gambn Nachmiddag über Dämide.
    »Wird er mich dann empfangen, wenn er zurückkommt?«, fragt Salim.
    Sie zuckt wieder die Achseln und schneuzt sich.
    Salim knurrt der Magen, immer lauter, er ist frustriert und fühlt sich machtlos.
    Um drei Uhr blickt die Frau auf und sagt: »Heude gommdä nich mä.«
    »Wie bitte?«
    »Bidder Bladdig. Dä gommd heude nich mä wiede.«
    »Kann ich dann einen Termin für morgen bekommen?«
    Sie wischt sich die Nase.

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