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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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die Sag Harbor über Greenport und Orient Point mit der Küste von Connecticut verbinden. Er wollte den New Yorker Verkehr meiden und möglichst schnell vorankommen. »Und ich gestehe, dass ich mich ziemlich elend fühlte.« Es sollte nicht das letzte Mal sein.
    Sie waren ein gutes Gespann, Charley und John. Charley liebte das Autofahren. Er war ein großer Hund, und wenn er auf dem Beifahrersitz saß, war sein Kopf fast auf gleicher Höhe mit dem von John. Manchmal hielt er die Schnauze dicht an dessen Ohr und brachte mit den oberen Vorderzähnen und der Unterlippe einen Laut hervor, der wie »Ftt« klang. Es bedeutete meistens, dass er auf seine Weise die Strecke markieren wollte.
    Die Schlagzeilen jenes Tages wurden beherrscht von der Generalversammlung der Vereinten Nationen, die gerade begonnen hatte. Zu den Hauptakteuren des großen politischen Schaustücks gehörten der jugoslawische Staatschef Tito, der ägyptische Präsident Nasser, der indonesische Präsident Sukarno – der mit einer klugen Rede über die neue Rolle der Dritten Welt beeindruckte –, Fidel Castro, von den westlichen Staatsmännern ignoriert, und Nikita Chruschtschow, den die Amerikaner offenbar für so gefährlich hielten, dass er von New York nicht viel mehr als die sowjetische Botschaft sehen durfte.
    Der Sag Harbor Express berichtete über eine Radioansprache Präsident Eisenhowers, die mit Hilfe eines Satelliten als Reflektor von der Ost- zur Westküste übertragen wurde, damals etwas Neues. Später würden vielleicht einmal »aktive« Satelliten sogar Fernsehbilder übertragen können, doch dies liege nach Ansicht von Wissenschaftlern noch in ferner Zukunft. Die Gesellschaftsrubrik erwähnte die Roastbeef-Party von Mr. und Mrs. Malloy, die Bootstour von Teddy Smith, die Wochenendgäste der Familie Hirsch und die Rückkehr der Familie Duncan aus einem kurzen Urlaub. Und laut Philip Morris waren Zigaretten jetzt reiner als je zuvor: »Jedes Stückchen Tabak in der neuen Kingsize Philip Morris Commander wurde sanft gereinigt und an der Luft gerollt, in einer brandneuen Maschine – der Mart VIII .«
    Genau fünfzig Jahre später, am 23. September 2010, berichten die Lokalzeitungen über die Festnahme eines Sechsunddreißigjährigen wegen des Besitzes von Marihuana, über den Diebstahl eines grünen Raleigh-Fahrrads, auf dem ein gewisser Richie Cox (23) in der Main Street gesichtet worden sei, sowie über den Klimawandel und den Anstieg des Meeresspiegels und deren mögliche Folgen für Sag Harbor und Umgebung: »Etwa eine Milliarde Dollar an Immobilienwerten stehen auf dem Spiel.«
    Es ist ein schöner, spätsommerlicher Morgen, leicht bewölkt, der Beginn eines warmen Tages. Etwas weiter im Süden werden schon seit einer Woche sämtliche Wärmerekorde gebrochen, die Augusthitze will kein Ende nehmen. Es ist noch kein bisschen herbstlich, das Laub der großen, trägen Bäume ist tiefgrün. Die Grillen veranstalten ein Konzert, hier und da hört man auch einen Vogel, ansonsten ist es totenstill am Ende der Bluff Point Lane, vor Steinbecks früherem Haus.
    Hier soll auch meine Reise beginnen, bei der alten Hobbygarage mit den Schränkchen und Schublädchen und Steinbecks genialer Steinpoliermaschine, bei Elaines rostigem Gewächshaus, an dem Holzzaun, hinter dem nun Erben und Nichterben die Messer für den nächsten Prozess um den Nachlass wetzen. Hier habe ich genug gesehen.
    Wir fahren über den Kies an der Bucht, durch die schattige John Street, dann in die Main Street, es ergibt sich von selbst. Der Himmel ist klar, die kleine Fähre nach Shelter Island schaukelt zwischen den verwitterten Dalben vor Sag Harbor und dem waldigen Ufer gegenüber, der Seegang in dem fast ganz von Land umschlossenen Meeresarm ist ruhig; man sieht die Sandstrände, die kleinen Buchten, in denen Bob Barry seinem Freund John das Angeln beibrachte, und überall, auf den Fähren, den Schiffen und vor den Häusern, die stolze amerikanische Flagge.
    Shelter Island wirkt von weitem noch unberührt, als habe sich nichts verändert, seit die amerikanischen Ureinwohner zwischen diesen Buchten und Inseln hin und her paddelten. Aus der Nähe sieht man, dass es ein einziger großer Park ist, mit vielen alten Bäumen und kurz geschorenem Rasen, dazwischen nichts als Villen im Kolonialstil, hingestreut wie Puderzucker. Eine Art Grunewald von New York, zu paradiesisch, um wahr zu sein.
    »Wer hatte je von Orient Point gehört?«, hatte sich Ernie Pyle gefragt, als er am 6.

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