Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
statt. Als Erster traf Nixon ein. Sein Fernsehberater Ted Rogers erschrak: »Der Kandidat sah aus, als erscheine er zu einer Beerdigung, vielleicht sogar zu seiner eigenen Beerdigung, und nicht zu einer Debatte. Sein Gesicht hatte eine ungesunde graue Farbe und wirkte eingefallen. Er war fast völlig erschöpft.« Im Gegensatz zu Nixon hatte sich Kennedy sorgfältig vorbereitet. Er war ausgeruht und leicht gebräunt, er sah aus wie ein junger Athlet.
In beiden Lagern wurde in der Studiogarderobe über die Verwendung von Make-up gestritten. Vor allem Nixon hätte ein wenig davon gebrauchen können: Er hatte eine helle Haut und starken Bartwuchs, kein sehr vorteilhafter Anblick, wenn er sich nicht zurechtmachen ließ. Doch beiden Kandidaten war die Vorstellung unangenehm, sich pudern zu lassen, sie waren doch richtige Männer; vor allem fürchteten sie, die Öffentlichkeit könne von einer solchen Behandlung erfahren. Ein sissy-boy , eine Schwuchtel, war ganz bestimmt das Letzte, wofür sie gehalten werden wollten. Schließlich ließ Kennedy sich doch von einem Assistenten mit viel Fernseherfahrung überzeugen; dieser Mitarbeiter lief noch schnell zum nächsten Drugstore und kaufte eine Dose Max Factor Creme Puff. Nixon lehnte es kategorisch ab, sich schminken zu lassen, und nahm nur ein weinig Puder von der Marke Lazy Shave, um seinen Bart zu verbergen, mit dem Ergebnis, dass seine Haut noch grauer wirkte. »Er sieht ja wirklich furchtbar aus«, flüsterte Kennedy kurz vor dem Countdown seinem Pressechef Pierre Salinger zu. Anscheinend wusste er schon, dass er gewinnen würde.
Man kann das Fernsehduell als Video auf YouTube sehen. Was einem aus dem Abstand eines halben Jahrhunderts auffällt, ist vor allem der schlichte Rahmen: ein paar Stühle, ein Pult, ein Gesprächsleiter, vier Fragensteller, kein Studiopublikum, kein Firlefanz. Dementsprechend ist der Ton: ruhig und respektvoll. Der Kommunismus als die große Bedrohung aus der Ferne spielt natürlich im Gespräch eine Rolle; ansonsten überbietet man sich darin, von allem mehr und Besseres zu fordern und zu versprechen: noch mehr Wohnungen, noch bessere medizinische Versorgung für die Älteren, noch mehr Krankenhäuser, Schulen, Wasserkraftwerke, Highways.
Wer Nixon reden hörte, glaubte ihm. Wer ihn auch sah, den befielen zunehmend Zweifel. Als ich mir die Fernsehbilder anschaute, fand ich sein viel diskutiertes Aussehen gar nicht so schlimm. Es waren vor allem seine Mimik und Körpersprache, die ihm zum Verhängnis wurden: Er zwinkerte mit den Augen, fuhr sich ständig mit der Zunge über die Lippen und blickte von der Kamera weg; außerdem schwitzte er immer stärker, was natürlich nicht zuletzt an der Wärme im Studio lag, aber den Eindruck erweckte, als fühle er sich von Kennedy in die Enge getrieben.
Hinter den Kulissen, im Regieraum, spielten sich währenddessen seltsame Szenen ab. Die Techniker und die Mitarbeiter beider Kandidaten sahen die Bilder und erfassten sofort deren Bedeutung. Alle technischen Details der Sendung waren vorher in Verhandlungen genau festgelegt worden, zum Beispiel, wie oft jeder Kandidat zu sehen sein sollte, wenn sein Kontrahent sprach. Während der Sendung waren nun die Rollen vertauscht: Das Kennedy-Team wollte am liebsten nur noch Bilder des schwitzenden Nixon sehen, je mehr, desto besser, während Ted Rogers aus Nixons Mannschaft möglichst viele Zwischenschnitte mit dem ruhig zuhörenden Kennedy forderte, Hauptsache, sein Kandidat kam nur selten ins Bild.
Die Sendung sollte sich im Nachhinein als wahlentscheidend erweisen; das Bild – man könnte auch sagen das Image – war offenbar unvergleichlich viel wichtiger als die Themen. Sechzig bis fünfundachtzig Millionen Amerikaner verfolgten das Duell vor dem Fernseher. Für sie stand außer Frage, wer gewonnen hatte. Nixons großer Pluspunkt, seine acht Jahre Erfahrung als Vizepräsident, war an diesem einen Abend wertlos geworden. Richard Joseph Daley, Chef des berüchtigten Chicagoer Parteiapparats der Demokraten, rief aus: »Mein Gott, sie haben ihn einbalsamiert, noch bevor er tot war.« Nixons besorgte Mutter fragte telefonisch an, wie es ihrem Sohn gehe. Auf der Straße vor dem Studio drängte sich eine Frau, die man für eine Nixon-Anhängerin hielt, in die Kette der Personenschützer und rief Nixon freundlich zu: »Macht nichts! Das nächste Mal klappt’s besser!« In Wirklichkeit war die Frau für ihren Auftritt bezahlt worden: von Kennedys Wahlkampfteam,
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