Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
John hatte nie ein böses Wort über ihn verloren.
Doch wesentlich aktiver als die Kennedys hatte sich Richard Nixon an dem antikommunistischen Kreuzzug beteiligt, von den ersten Anfängen im Jahr 1948 an, als ein bekannter Berater Präsident Roosevelts, Alger Hiss, beschuldigt wurde, ein kommunistischer Spion gewesen zu sein. Als junges Mitglied des Komitees für unamerikanische Umtriebe hatte Nixon ständig neues Material vorgelegt, das Hiss belastete; weil die Verjährungsfrist abgelaufen war, konnte Hiss nicht mehr wegen Spionage angeklagt werden, wurde aber schließlich wegen Meineids verurteilt. (Im Fall Hiss war der Vorwurf der Spionage für die Sowjetunion höchstwahrscheinlich sogar berechtigt, wie man inzwischen aus sowjetischen Quellen weiß.)
Die Hiss-Affäre bedeutete für Nixon den großen Durchbruch und half den Republikanern, dem Wahlvolk ihren neuen Glaubenssatz einzutrichtern: Sie behaupteten, Roosevelt, der Präsident, der das Land erfolgreich durch die Depression und den Weltkrieg geführt hatte, habe in Wirklichkeit die Vereinigten Staaten und Europa an die Kommunisten verkauft; die schwache demokratische Elite sei blind für die wachsende rote Gefahr gewesen und habe die moralischen Werte des wahren Amerika verraten.
Neben McCarthy hatte auch Nixon dieses Thema jahrelang ausgeschlachtet. Er hatte führende Demokraten wie Harry S. Truman, Dean Acheson und Adlai Stevenson als Helfer der »kommunistischen Verschwörung« denunziert und alles getan, um ihren Patriotismus in Zweifel zu ziehen. Seit jeher war es in der amerikanischen Politik rau zugegangen, doch Nixon und McCarthy hatten immer wieder eine entscheidende Grenze überschritten und das gesamte System aus dem Gleichgewicht gebracht: Sie stellten nicht nur die politische Qualifikation ihrer Gegner in Frage, sondern auch deren Loyalität zu den Vereinigten Staaten, ihre Identität als Amerikaner.
Die Demokraten zerbrachen sich lange vergeblich den Kopf über eine angemessene Reaktion. Doch kurz nachdem die Sowjetunion im Oktober 1957 als erstes Land einen Satelliten, den Sputnik 1, ins Weltall geschossen hatte, brachte William Stuart Symington, ein demokratischer Senator mit großem Talent für Demagogie, den Begriff » missile gap« in Umlauf: Angeblich waren die Vereinigten Staaten in der Raketentechnik weit abgeschlagen; in absehbarer Zeit würde das Land eine leichte Beute der fortschrittlichen sowjetischen Raketen mit ihren alles vernichtenden Atomsprengköpfen sein. Das Schlagwort wurde sofort von der Presse aufgegriffen. Die Vereinigten Staaten, schrieb die Washington Post , befänden sich in der größten Gefahr ihrer Geschichte. John F. Kennedy erkannte gleich den Wert des Themas und machte in seinem Wahlkampf aus dem missile gap eine gefürchtete Waffe gegen den politischen Gegner: Die Republikaner haben unsere Verteidigung jahrelang vernachlässigt, wir Demokraten werden endlich Ernst machen mit dem Schutz unseres Landes.
Präsident Eisenhower kochte vor ohnmächtiger Wut, denn er konnte nichts tun, um diese wuchernde Diskussion zu beenden. Der missile gap war ein Mythos, und das wusste er. Die Kameras der U-2-Spionageflugzeuge hatten dokumentiert, dass die Russen in der Raketenproduktion nur sehr langsam Fortschritte machten und bei den Langstreckenbombern weit zurücklagen. Sie konnten zwar starke Raketen bauen, die leichte Satelliten ins All beförderten, verfügten aber nicht über die präzisen Steuerungssysteme, die notwendig sind, um eine ballistische Rakete auf große Entfernungen ins Ziel zu lenken. Bei den Amerikanern dagegen stand eine neue Generation von Atlas- und Titanraketen bereit, die mit eben dieser Steuerungstechnik ausgerüstet waren.
Doch diese Informationen waren streng geheim. Die Sowjets wiederum blufften und hatten kein Interesse an einer Widerlegung des Mythos vom missile gap . Mehr noch: Die Sputniks dienten unter anderem dem Zweck, von den Schwächen ihrer Raketentechnik abzulenken. Als Kennedy dann Eisenhowers Platz eingenommen hatte, stellten seine Fachleute schnell fest, dass es zwar tatsächlich einen Rückstand in der Raketenentwicklung gab, aber auf russischer Seite. Die gesamte Diskussion hatte jeder realen Grundlage entbehrt, und doch war der angebliche missile gap im Wahlkampf des Jahres 1960 eines der wichtigsten Themen.
Wie sich Schein und Wirklichkeit in diesem Wahlkampf vermischten und wie Amerikaner mit Steinbecks politischen Überzeugungen die beiden Kandidaten einschätzten,
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