Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)
Abteilung schmutzige Tricks.
Für die siebzehn Millionen Radiohörer, die sich auf den Inhalt des Gesprächs konzentrieren konnten, gab es dagegen keinen eindeutigen Gewinner oder Verlierer. Sie hörten – und ich empfand es genauso – einen Kennedy, der mit seiner hohen Stimme ein wenig affektiert wirkte, während Nixons tiefere Stimme den Eindruck von Glaubwürdigkeit erweckte. In Texas hatte Kennedys running mate Lyndon B. Johnson die Debatte ärgerlich im Radio angehört. Er war davon überzeugt, dass Kennedy die Sache verpatzt habe: » The boy didn’t win .« Steinbeck, der den weiteren Verlauf des Wahlkampfs meist am Radio und in den Zeitungen verfolgte, wusste nicht, was er von dieser Debatte halten sollte. An Elaine schrieb er, Kennedy könne besser argumentieren als erwartet, und einer seiner Bekannten, ein Republikaner wohlgemerkt, sei sich sogar sicher, dass Kennedy gewinnen werde. Die wenigen anderen Leute, mit denen er darüber sprach, waren allerdings ebenso unsicher wie er selbst.
Ein Oberschüler in der Stadt Wheaton in der Nähe von Chicago fand das Ergebnis dagegen eindeutig. Für den jungen Robert (»Bob«) Woodward, später einer der wichtigsten amerikanischen Journalisten, kam nur Richard Nixon als Retter der Nation in Frage, nicht dieser komische Vogel Kennedy mit seinem seltsamen Akzent. Und am Ende der Debatte war er beruhigt: Niemals würden die Amerikaner jemanden zum Präsidenten wählen, der so offensichtlich eine Schwuchtel war wie John F. Kennedy.
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Wir steuern durch die letzte Septemberwoche 2010. Der Boston Globe berichtet über die Schließung von Ford-Lincoln-Vertriebstellen. Von zwei verkauften Wagen pro Woche könne man nicht leben; bei dem vergleichbaren Toyota Lexus sei der Absatz dreizehnmal so hoch. Auf der Titelseite des Livermore Falls Advertiser lässt Paul Beal – gebräunt und mit Stetson – sein Pony beim jährlichen Apple Pumpkin Festival auftreten. Der Coös County Democrat meldet, dass Sally Edmondson aus Berlin, New Hampshire, von der Straße abgekommen ist, als sie einem Wapiti auszuweichen versuchte. In einem Leserbrief an den Rochester Democrat and Chronicle schildert William Listra seine Erfahrungen beim Kauf eines neuen Mixers. »Was sehe ich? Ein Black & Decker – amerikanischer geht es nicht. Er ist solide und billig. Ich glaube, sie wurden früher in Brockport hergestellt […] Ups, Made in China . Die nächsten: China, China, China, Mexiko, China […]«
Die Kartoffelernte hat begonnen. Die Houlton Pioneer Times – The only newspaper in the world interested in Houlton, Maine , druckt einen Aufschrei von Mike Michaud, Abgeordneter des Maine’s 2nd Congressional District: 2008 hat China die Vereinigten Staaten in der Papierproduktion überholt. »Ich habe fast dreißig Jahre in einer Papierfabrik in East Millinocket gearbeitet und musste mit ansehen, wie es mit meinem Heimatort bergab ging, als die Papierfabrik geschlossen wurde […] Die Stadt war sich nicht sicher, ob noch genug Geld für den Erhalt der Schule da sein würde.«
Maine ist ein sonderbarer Fortsatz der Vereinigten Staaten; es ragt in das gewaltige Kanada hinein »gleich einem erhobenen Daumen«, wie Steinbeck es ausdrückt. Auf seinen Spuren bewegen wir uns langsam an der Küste entlang in nordöstlicher Richtung, kommen durch britische und skandinavische Städtchen, überqueren Flüsse, sehen morastige Felder und endlose gelbe Birkenwälder. Manchmal kommt uns auch jemand entgegen. Die Tage sind grau, es wird schon früh dunkel. Wir entfernen uns von der Küste in Richtung Houlton, Presque Isle und Caribou. Hin und wieder nieselt es.
Dies ist und bleibt Kartoffelland, doch während zu Steinbecks Zeiten Kanadier in großer Zahl als Erntehelfer über die Grenze kamen, sieht man heute nur riesige Kartoffelvollernter auf den matschigen Ebenen; menschliche Arbeitskraft wird dort kaum noch gebraucht. Die Häuser und Scheunen neben der Straße werden grauer und kleiner, nicht wenige von ihnen wirken schäbig und farblos, an vielen Orten steht vor jedem vierten oder fünften Haus ein Schild mit der Aufschrift FOR SALE. »Wir sehen das Puzzle unseres Lebens und halten verzweifelt die losen Teile in den Händen«, sagt eine Frauenstimme im Radio. »Aber Gott kennt das Ergebnis. Er weiß, wohin die letzten Teile des Puzzles gehören. Er führt eure Hand, und Er sagt: Euer Leben wird groß sein und wird guten Zielen dienen.«
Maine, so lasse ich mir sagen, hat zwei Arten von Einwohnern:
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