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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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natives und from away’s , wobei man auch schon from away ist, wenn man nicht zufällig in dem Ort geboren wurde, in dem man sich gerade aufhält. Die größten Städte, Portland und Bangor, haben nicht mehr Einwohner als eine kleinere europäische Provinzstadt. Die Menschen hier erinnern mich ein wenig an Friesen und Groninger, sie sind schweigsam, vertrauensvoll – kein Haus wird abgeschlossen – und sehr hilfsbereit; für eine kleine Reparatur Geld zu verlangen ist not done . Wie in allen Randgebieten der Welt zieht es die Jungen, Klugen und gut Ausgebildeten in die Städte; im nicht weit entfernten Boston leben 625 000 Menschen, halb so viele wie im ganzen Staat Maine. Seit Jahren steigt das Durchschnittsalter derer, die auf dem Land bleiben, dagegen sinkt im Vergleich zum übrigen Neuengland das Bildungsniveau.
    In dieser feuchten und sumpfigen Region wetteifert man im Entwerfen von Zukunftsplänen, wie in so vielen strukturschwachen Gebieten: Ausbau erneuerbarer Energien, Förderung kleiner Gemeinden, Verbesserung des Bildungsangebots auf allen Niveaus. Wir brauchen mehr Selbstvertrauen, schreibt The Bangor Daily News , aber da »ein Hotdogstand nicht mit einem Nobelrestaurant konkurrieren kann«, müsse auch Maine seine besondere Situation akzeptieren und das Beste daraus machen. Einige Pläneschmieder, kritisiert der Kommentator, neigten dazu, beim Blick in den Spiegel nicht sich selbst, sondern Brad Pitt zu sehen. »Ist es nicht wichtig, den Tatsachen ins Auge zu schauen und entsprechend zu handeln?«
    Auch in diesem Herbst werden überall im Land zum Teil erbitterte Wahlkämpfe geführt: um Sitze in Repräsentantenhaus und Senat, um Gouverneursposten, aber auch um Ämter auf Kommunal- oder Bezirksebene wie die von Bürgermeistern, Stadträten, Richtern oder Sheriffs. Im Regen gleiten zwischen den FOR-SALE -Schildern Wahlplakate vorbei, sie stehen in fast jedem Vorgarten – vor allem die eines gewissen LePage. Ja, der aussichtsreiche republikanische Gouverneurskandidat Paul LePage soll Maine retten, ein Geschäftsmann, der für seine Pöbeleien und dummen Sprüche bekannt ist: Die Bürgerrechtsorganisation NAACP könne ihn »am Arsch lecken«; Obama solle doch zur Hölle fahren; die giftigen Ausdünstungen einer bestimmten Sorte Kunststoff würden höchstens bewirken, »dass manchen Frauen vielleicht ein Bart wächst, und das wollen wir nicht«.
    Im Wald bei Winter Harbor ist ein Abschnitt der Straße sehr alt, der weiße Mittelstrich kaum noch sichtbar, der Asphalt von Baumwurzeln aufgebrochen, die Ränder von Sträuchern, Gras und Pilzen überwuchert. Gut möglich, dass Steinbecks Rosinante über diese Straßendecke gerollt ist, während der Regen aufs Dach trommelte. In Briefen an Elaine beklagt er seine Müdigkeit, und dass er im Dunkeln noch einen Platz zum Übernachten suchen muss. »Hier gibt es niemanden, den ich bitten könnte, mir Gesellschaft zu leisten. Du würdest dich wundern, wie verlassen große Teile dieser Gegenden im Norden sind.«
    Wir finden ein Zimmer in einem müden Hotel, einem hölzernen Gebäude wie die meisten hier. Über die leere Veranda huschen Eichhörnchen. Unten stehen Ledersessel vor dem Kamin, in dem ein beachtliches Feuer brennt. Es gibt zwei weitere Gäste, Jäger. »Kaffee?« – »Mmm.« – »Hirsche?« – »Nicht schlecht.« – »Gelände?« – »Okay.« Das Schweigen ist drückend, man hört nur den Hauspapagei, der auf seinem klappernden Ständer herumhampelt.
    Der Chef setzt sich zu uns. Bei ihm steigen fast nur noch Jäger ab. Im nächsten Monat beginnt wieder die Entenjagd. Doch auch die Jagd sei nicht mehr, was sie einmal war: »Wenn Sie wüssten, was man heutzutage an Papieren braucht, Lizenzen, Formulare, das war früher nicht so. Aber einige Leute hier leben immer noch mehr oder weniger von der Jagd.« Er möchte das Hotel verkaufen und fragt mich, ob ich vielleicht Interesse hätte. Er könne sich nicht mehr halten. »Ich verdiene zwanzig- bis dreißigtausend im Jahr, davon gehen zwei- bis viertausend an Steuern ab. Aber wer zwanzig bis dreißig Millionen verdient, zahlt keinen Cent, das ist doch nicht in Ordnung!«
    Denken hier alle so? »Die Leute geben jetzt Obama die Schuld – dabei hat er von George Bush einen ungeheuren Saustall geerbt, aber das scheinen sie vergessen zu haben. Und sie sind verwirrt. Der eine Fernsehsender behauptet dies und der andere genau das Gegenteil.« Er selbst will von Politik nichts mehr wissen, und von keiner Partei.

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