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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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sinkt – viele schieben die Eheschließung hinaus, weil sie arbeitslos sind und sich um ihre wirtschaftliche Zukunft sorgen; zwei Drittel der Amerikaner erwarten, dass es ihren Kindern später schlechter gehen wird als ihnen heute.
    Liegt hier der große Unterschied zu den sechziger Jahren? Am Vortag hatte ich mich mit einem Rentnerehepaar unterhalten. »Vielleicht waren damals alle ärmer«, sagte die Frau, »aber die Stimmung war ganz anders. Wenn man ein College besuchte, wusste man, dass man hinterher Arbeit finden würde. Und wenn man Arbeit hatte, wusste man, dass man sich bald auch ein Auto kaufen konnte.« Ihr Mann ergänzte: »Und wenn man pro Monat einen Wochenlohn zurücklegte, wusste man, dass man von der Bank genug Geld bekommen konnte, um ein Haus zu kaufen. Und man wusste, dass man sich nach ein paar Jahren ein größeres Haus kaufen konnte und das alte dann im Wert gestiegen war. All diese Gewissheiten gibt es für unsere Kinder nicht mehr.«
    David sagt etwas Ähnliches: »1960 habe ich 25 Dollar die Woche verdient, und davon konnte eine Familie leben. Heute müssen fast immer der Mann und die Frau arbeiten, um die Familie über Wasser zu halten.« Was hat sich sonst noch verändert? »Wenn man bei einer guten Firma arbeitete, wie meiner, war man gut versichert und konnte mit einer guten Rente rechnen. Darauf war Verlass. Bis vor etwa zehn Jahren. Alles ist ins Rutschen gekommen, nichts ist mehr sicher.«
    Ich frage, wie die Jugend hier auf all das reagiert. »Sie ist unsicher. Wir wussten, dass wir etwas aufbauten, und haben uns Zeit dafür genommen. Heute muss alles sofort sein, von jetzt auf gleich, weil es morgen vielleicht nicht mehr geht. Und die Leute ziehen weg, es gibt keine Jobs mehr. 1960 waren wir zur Erntezeit noch alle auf dem Kartoffelacker, da musste jeder ran. Die ganze Arbeit haben Maschinen übernommen. Und Maschinen werden nicht müde, beklagen sich nicht, stellen keine Forderungen.«
    Wir sprechen über die Dorfgemeinschaften, die es unter diesen Bedingungen schwer haben, wie in Europa. Immer mehr Männer mischen sich ins Gespräch. »Was das angeht, haben wir Glück«, meint David. »Wir halten zusammen. Wenn jemand Hilfe braucht und die Versicherung zahlt nicht, werden alle aktiv: fundraisers , sales , alles mögliche. Hier wird man nicht fallen gelassen.«
    »Wir sind zäh, wissen Sie«, sagt einer der Anwesenden. »Auch wenn wir am Boden liegen, denken wir: Das geht vorüber, es kommen wieder andere Zeiten. Das bringt uns immer wieder auf die Beine.« Einige sprechen jetzt von Obamas neuer Krankenversicherung. Dass etwas wie eine Versicherung kostenlos sein soll, gefällt niemandem, auch nicht einem alten Arbeiter wie David. »Was kostenlos ist, wird missbraucht, das ist unvermeidlich«, sagt er im Brustton der Überzeugung. »Dann gehen die Leute viel zu oft zum Arzt, nehmen zu viele Medikamente, es kostet ja nichts. Nein, keine gute Idee.«
    Im Grunde treffen an diesen Tischen kaum linke und rechte Meinungen aufeinander, die meisten hier sind sich einig in einer kollektiven Wut auf die Politik insgesamt und auf »den« Politiker im Besonderen. Je weiter die Einkommen auseinanderklaffen, desto größer wird das Misstrauen.
    »Hank zum Beispiel«, sagt einer der Männer. »Wir kannten ihn schon seit Jahren, er war regelmäßig hier, zuverlässiger Mann. Er geht in die Politik, wir wählen ihn alle. Nach einem Jahr haben wir ein kleines Problem. Wir rufen Hank an. Aber nein, plötzlich gibt es da diese Regel und jene Regel, da war nichts zu machen. Politik verdirbt jeden.« Ein anderer ergänzt: »Wir leiden immer mehr unter den hohen Diesel- und Benzinpreisen, das wird allmählich ein richtiges Problem. Auch nur Politik.« Ich weise darauf hin, dass wir in Europa für einen vollen Tank viermal so viel bezahlen müssen, doch das ist für sie kein Argument. »Nein nein, mit Knappheit hat das nichts zu tun.«
    David erzählt, ein Mann in Houlton habe schon vor dreißig Jahren einen Vergaser erfunden, mit dem man hundert Meilen mit einer Gallone fahren konnte. »Die Ölfirmen haben ihn abgefunden, mit einer Million Dollar. Und jedes Jahr bekommt er ein neues Auto. So war das. Alles Politik!«
    So kann ich Morgen für Morgen bei Eiern, Speck, Bohnen und dünnem Kaffee feststellen, dass der Optimismus und die Gewissheiten einer Mittelschicht im Begriff sind sich aufzulösen. Oder besser gesagt: Ich sehe diese Mittelschicht selbst verschwinden. John F. Kennedy konnte in den

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