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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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vor, als wäre ich auf einem anderen Planeten. So große Teile von Maine sind einsam und verlassen.«
    Überall in den Vereinigten Staaten versammeln sich morgens zwischen sieben und acht Uhr Gruppen von Männern, dazu die eine oder andere Frau, in den sogenannten diners , überwiegend zu Restaurantketten gehörenden Raststätten an Fernstraßen, um dort ein Frühstück aus Eiern, Wurst, Speck, Toast, Bohnen und Pfannkuchen zu sich zu nehmen. Die Portionen sind nach europäischen Maßstäben mörderisch. Die meisten dieser Frühstücker sind Lastwagenfahrer, Farmer und Arbeiter, irgendwelche Spezialisten, die in der Nähe einen Auftrag zu erledigen haben, vor allem in ländlichen Gebieten auch Ruheständler, deren fester Treffpunkt der diner ist. Der Gastraum ist meist in Nischen mit Resopaltischen und braunen oder grünen Kunstlederbänken aufgeteilt. An den Wänden hängen Urkunden, Familienfotos, manchmal Jagdtrophäen und ein farbenfrohes Naturbild, zum Beispiel mit einem großen Schwarzbären, der vorsichtig einen Waldbach überquert. Die Bedienung ist fabelhaft: Frauen, die eine große Wärme ausstrahlen, den Namen jedes Gastes zu kennen scheinen, niemanden warten lassen und unter ihrem billigen Make-up immer lächeln. Und das ab morgens früh um fünf, für 4 Dollar die Stunde plus Trinkgeld.
    Wie Steinbeck habe ich mir schnell angewöhnt, morgens gleich nach dem Aufstehen einen solchen Sammelplatz aufzusuchen. Sie sind nie mehr als ein paar Minuten entfernt. Manchmal kommt es nicht zu dem erhofften Kontakt. Auch die Söhne und Enkel der Männer, die Steinbeck beobachtete, starren stumm in ihre Kaffeebecher; in dieser Hinsicht scheint sich nichts verändert zu haben. Aber wenn man geduldig wartet, geschieht meistens doch noch etwas. Sogar in Maine. Zum Beispiel, als ich in dem Dorf Mars Hill frühmorgens Al’s Diner besuche, gleich gegenüber dem Bear Paw Inn, in dem wir übernachtet haben. Es ist Mittwoch, der 29. September, Viertel nach sieben. Gänse fliegen in langen Formationen schnatternd durch die Morgenkühle. Drinnen herrscht Hochbetrieb. In der Nähe wird eine Pipeline in Richtung Alaska verlegt, und hier versammeln sich die Arbeiter. Wie überall auf der Welt sitzen Farmer mit Farmern, Arbeiter mit Arbeitern, Bürger mit Bürgern zusammen. Die Farmer – karierte Hemden, Baseballkappen – sind rund wie die Kartoffeln, die sie ihr Leben lang geerntet haben. Ein Mann mit Hosenträgern und dunkler Brille steht auf und geht, ein wenig schief, auf mich zu, um den Fremden mit Handschlag zu begrüßen. »Er ist der Millionär dieser Gegend«, flüstert mein Thekennachbar. »Aber er tut viel für die Leute hier.« Die Männer essen ihr Super Sunrise Breakfast und reden über das Wetter, die Ernte, die Steuern und was Menschen sonst noch so beschäftigt.
    Mein Nachbar heißt David. Er hat sein Leben in den Wäldern verbracht, als Holzfäller, jetzt ist er in Rente. Zufällig sind in der Zeitung von heute die Ergebnisse der jüngsten Volkszählung abgedruckt. Auch David hat den Artikel gelesen: Von der Gesamtsumme der Einkommen in den Vereinigten Staaten entfällt auf die reichsten 20 Prozent der Bevölkerung, Menschen mit einem Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Dollar, fast die Hälfte, um genau zu sein 49,4 Prozent, auf die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung dagegen nur ein Dreißigstel, 3,4 Prozent. Anders gesagt: Das Verhältnis der Einkommen der unteren 20 Prozent zu denen der oberen 20 Prozent beträgt inzwischen etwa 1 zu 14 – gegenüber 1 zu 7,6 im Jahr 1968.
    »Ich habe mein Leben lang Versicherungsbeiträge zahlen müssen«, brummt David. »Diese Farmer hier, teilweise Millionäre, brauchten fast nichts zu zahlen, es hieß immer, weil sie den Menschen Arbeit gaben. Aber es wurde nicht dazugesagt, dass ich 10 Dollar pro Stunde bekam und mein Chef mindestens 25 an mir verdient hat. Trotzdem galt für sie dieser niedrige Satz. So ist es mit allem: die vielen Steuerbefreiungen für die Reichen, das geht immer so weiter. Dass jemand viel verdient, okay, aber dass er dann auch noch zusätzliche Vorteile bekommt, während ich alles bezahlen muss, das hält man doch im Kopf nicht aus! Nach acht Jahren Bush haben wir uns nach Veränderung gesehnt. Wir hatten ihn alle gewählt, aber es tat sich nichts.«
    Noch ein paar Daten: Die Anzahl der Haushalte, die auf Lebensmittelmarken angewiesen sind, ist um nicht weniger als zwei Millionen auf 11,7 Millionen gestiegen; die Zahl der verheirateten Paare

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