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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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und 2008 geführt hat. Fast jeder meiner Gesprächspartner erzählt mir von Menschen, die damals arbeitslos geworden sind: Freunde, Nachbarn, Verwandte, sie selbst. Plötzlich konnten viele die gestiegenen Raten für die variabel verzinsten Kredite nicht mehr bezahlen; gleichzeitig brachen die Immobilienpreise ein. Nach einer Studie des Pew Research Center vom Sommer 2010 ist mehr als die Hälfte der amerikanischen Arbeitnehmer während der dreißig Monate davor entweder vorübergehend arbeitslos gewesen, musste kurzarbeiten oder eine Einkommenskürzung hinnehmen. Der Einbruch der Immobilienpreise und Börsenkurse kostete die Durchschnittshaushalte ein Fünftel ihres Vermögens. Der Lebensstandard jedes dritten Amerikaners ist im Vergleich zu dem seiner Eltern gesunken.
    Von all diesen Problemen berichten die erloschenen Blicke mancher schweigender Frühstücker in den diners , Blicke, wie ich sie auch in den Straßen Russlands kurz nach dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums gesehen habe. Doch hier flimmern weiterhin fröhliche Bilder über die Fernsehschirme an den Wänden, glückliche Männer und Frauen laufen über Wiesen und Strände, lachend und gesund, mit strahlend weißen Zähnen und glänzenden Erwartungen. Immer und überall klaffen die kollektiven Phantasien eines Landes und die Alltagswirklichkeit auseinander, aber hier ist es besonders auffällig.
    Der Zukunftsglaube, ohne den es keinen amerikanischen Traum gegeben hätte, das erhebende Gefühl, nicht nur ein Spielball des Schicksals zu sein, sondern sein Leben selbst in der Hand zu haben, die Gewissheit, dass letztlich immer alles besser werde – all das droht zu verschwinden, weshalb das traditionelle amerikanische Selbstbild Risse bekommt. Das Jahr 2007 war in dieser Hinsicht ein Wendepunkt. Zum ersten Mal antwortete bei Befragungen mehr als die Hälfte der Amerikaner, dass sie es in der Vergangenheit besser gehabt hätten als in der Gegenwart; 2008 waren es schon fast zwei Drittel.
    Das Selbstvertrauen und das Gefühl der Sicherheit, das früher das Leben so vieler Amerikaner bestimmte, gehen mehr und mehr verloren. Sozial- und Politikwissenschaftler der Universität Yale haben den sogenannten »Economic Security Index« entwickelt; er dokumentiert, wie viele Amerikaner jeweils im vorangegangenen Jahr von drei schwerwiegenden Problemen gleichzeitig betroffen waren: Einkommenseinbußen von mindestens 25 Prozent, erhebliche finanzielle Belastungen durch medizinische Behandlungen und das Fehlen ausreichender Reserven, mit denen sich dergleichen abfedern ließe. Da in den Vereinigten Staaten die sozialen Sicherungssysteme im Vergleich zu Westeuropa höchst mangelhaft sind, können die Folgen einer Erkrankung dramatisch sein: Verlust von Wohnung und Arbeitsplatz, Abhängigkeit von Verwandten, Freunden und Nachbarn. Der durchschnittliche Einkommensverlust liegt dann bei etwa 40 Prozent. Im günstigsten Fall dauert es sechs bis acht Jahre, bis sich eine Familie von einem solchen Schlag halbwegs erholt, doch allzu oft gelingt es gar nicht.
    Im Jahr 1984 verloren etwa 12 Prozent der Bevölkerung auf diese Weise den Boden unter den Füßen, 2001 waren es 17 und 2008 über 20 Prozent. Schon seit Jahren verbreite sich das Gefühl wirtschaftlicher Unsicherheit auch in der Mittelschicht, schreiben die Yale-Forscher. Der Bericht sagt voraus, dass die Amerikaner außerordentlich verwundbar durch künftige wirtschaftliche Rückschläge sein werden, unter anderem, weil sich die Mittel, mit denen sich Haushalte gegen wirtschaftliche Risiken absichern können – wie eigenes Vermögen oder potentielle Darlehen von Verwandten oder Freunden –, allmählich erschöpfen oder nicht mehr zur Verfügung stehen.
    »Auf all meinen Reisen habe ich wenig wirkliche Armut gesehen«, schrieb Steinbeck nach der Amerika-Expedition an seinen Lektor Pascal (»Pat«) Covici, »ich meine die niederdrückende, schreckliche Armut der dreißiger Jahre. Die war wenigstens real und greifbar. Nein, was ich gesehen habe, war eine Krankheit, eine Art verzehrender Schwäche. Es gab Wünsche, aber keine Bedürftigkeit. Und unterschwellig die drängende Energie, wie Gase in einem Leichnam. Wenn das einmal explodiert – ich zittere bei dem Gedanken an das Ergebnis.«
    Wie ist es heute? Die Sozialdaten und Prognosen sind niederschmetternd. Im Jahr 2011 lebten fast 46,2 Millionen Amerikaner in Armut, gut 15 Prozent der Bevölkerung. Bei den Afroamerikanern waren es sogar 27 Prozent. Außerdem

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