Amerikanische Reise
ausländisch essen.«
Walter ist nach seiner Niederlage empfindlich und fühlt sich angegriffen: »Es gibt überhaupt keine amerikanische Küche. Es
gibt überhaupt keine Amerikaner. Nur Ausländer. Das ist der Witz.«
Die Kerzen auf Kristins Kuchen brennen einem Mosaik aus lackierten Fruchtstückchen entgegen. Jan, das Geburtstagskind, soll
sie ausblasen. Ein paar Flämmchen beginnen bereits zu knistern, keine fünfunddreißig. Jan hätte fünfunddreißig nett gefunden.
Er pumpt die Lunge auf und entfacht einen ordentlichen Sturm über dem Kuchen, aber ein paar hartnäckige Flämmchen ducken sich
nur unter den Böen und richten sich wieder auf. Übriggebliebene Kerzen sollen Unglück bedeuten, denkt Jan, aber er ist nicht
abergläubisch. Er erledigt die restlichen, Wachs regnet auf Kirschen und Erdbeeren, und schließlich steigen nur noch Rauchfähnchen
auf. Der Kuchen ist hinüber.
»Wir essen ihn hinterher«, entscheidet Kristin und steht auf. »Ich gehe kurz rüber zu Rick, ich habe ihm ein Stück versprochen.«
Walter sieht sie an. »Wieso ist er überhaupt zu Hause«, fragt er gereizt. »Ich dachte, er sei in New Haven.«
»Der Auftrag hat sich zerschlagen«, sagt Kristin und geht in die Küche.
»Hat er eigentlich schon jemals einen Auftrag gehabt, der sich nicht zerschlagen hat?«
»Er konnte nichts dafür. Der Universität ist das Geld ausgegangen«, ruft sie.
|37| »Natürlich. Er kann ja nie etwas dafür.« Walter nimmt eine Zigarette aus der Schachtel.
»Er sollte einen Kompaktkurs geben. Er hat sich wirklich drauf gefreut.«
Walter zündet sich die Zigarette an. »Er muß doch von der Universität eine Entschädigung bekommen, wenn sie ihn engagieren
und dann kurzfristig ausladen, weil sie ihn nicht bezahlen können. Er könnte andere Aufträge deswegen abgesagt haben, egal,
ob er welche hatte oder nicht. Wahrscheinlich hatte er keine.«
»Er war nicht von der Universität engagiert«, sagt Kristin. Sie kommt mit einem in Alufolie eingeschlagenen Stück des Kuchens
in den Raum.
»Ich dachte, er sollte ein Seminar geben?«
»Ein selbstorganisiertes. Von den Studenten. Sie schätzen seine Fotografien.«
»Er wird es nie lernen«, sagt Walter, der für Modewörter wie Selbstorganisation nicht viel übrig hat.
»Es geht nicht um Geld«, erklärt Kristin.
»Warum ist er denn dann nicht hingefahren?« Walter sieht in der Geschichte einen neuerlichen Beweis, daß der Sozialismus unlogisch
ist.
»Er will verhindern, daß sie ihn immer wieder einladen und hinterher kein Geld haben.«
»Ich dachte, er wäre Idealist.« Walter weiß nicht wohin mit der Zigarettenasche und geht hinaus. »Ich hin für eine Stunde
mit Neil verabredet«, sagt er aus der Küche. Kristin sieht ihm nach. »Wie bitte?«
»Er hat mich vorhin angerufen. Es ist wichtig.«
Kristin kann Walter nicht unter Druck setzen, weil sie ihn mit dem gleichen Argument hat zum Flughafen fahren lassen. »Kann
das nicht warten?« »Ich bin in einer Stunde zurück.« Walter zieht sein Jackett an und geht zur Tür.
|38| Kristin dreht sich zu Jan.
»Entschuldige, aber er spinnt doch.«
Jan winkt ab. »Es ist in Ordnung.«
Einen Moment lang stehen sie schweigend im Zimmer. Kristin legt den eingepackten Kuchen auf den Tisch. »Du willst sicher duschen.«
Jan nickt. Er ist erschöpft und verschwitzt.
Kristin zeigt ihm das Badezimmer. Sie sucht ein frisches Handtuch. Als sie sich bückt, fällt Jan auf, daß ihre Jeans immer
noch wirken, als seien sie eine Nummer zu groß. Ihre Fesseln leuchten weiß zwischen dem Jeanssaum und dem ausgebleichten Stoff
ihrer roten Leinenschuhe. Sie hat meistens Stoffschuhe getragen, und Jan erinnert sich an die helle, von blaßblauen Adern
durchzogene Haut ihrer Waden, wenn sie die Beine übereinandergeschlagen hat. Sie trägt ihre Hemden wie früher über der Jeans.
Ihre Schulterblätter zeichnen sich deutlich unter dem weißen Stoff ab, als sie den Handtuchstapel durchsucht. Die Wirbelsäule
bildet eine Kette von kleinen Erhebungen. Unvermittelt muß Jan sich vorstellen, wie sie Handtücher wäscht: Waschmaschine auf,
Handtücher rein, Waschmaschine zu, kochen, spülen, schleudern – er weiß nicht, was ihn daran irritiert.
»Wir müßten noch ein großes Handtuch haben«, sagt sie, und wühlt in einem Bodenschränkchen neben dem Waschbecken.
»Ist nicht nötig«, sagt Jan und stellt fest, daß sich sein erschöpfter Blick an dem Streifen Haut zwischen dem Bund
Weitere Kostenlose Bücher